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Begutachtung von Post-/Long-COVID ist problematisch

Nicht nur die Behandlung, sondern auch die Begutachtung von Patienten mit Post- bzw. Long-COVID-Symptomen ist problematisch, zumal es sich offenbar nicht um ein einheitliches, definiertes Krankheitsbild handelt, die Pathophysiologie weitgehend ungeklärt ist und keine nachweisbar wirksame Therapie bekannt ist. „Post-COVID“ bzw. „Long-COVID“ war daher eines der wichtigsten Themen des letzten Jahres.

So berichtete Tobias Welte, Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, bereits auf dem 9. Infektiologie-Update-Seminar am 7. und 8. Mai 2021 (Livestream-Veranstaltung), Nachuntersuchungen von COVID-19-Erkrankten belegen, dass viele Betroffene weit über die Zeit der eigentlichen Viruserkrankung hinaus symptomatisch bleiben. Eigene Untersuchungen des Referenten zeigten, dass ein solches Post-COVID-Syndrom unabhängig von der Schwere der COVID-19-Erkrankung auftreten kann, also auch bei Patienten, die nur leicht erkrankt waren und ambulant behandelt wurden.

Prinzipiell gibt es zwei unterschiedliche Manifestationen des Post-COVID-Syndroms, die auch gemeinsam auftreten können: Dies sind einerseits bleibende Organschäden, vor allem fibrosierende Lungenerkrankungen, wobei verschiedene histologische Pathologien (organisierende Pneumonie, nicht spezifische interstitielle Pneumonie und gewöhnliche interstitielle Pneumonie) beschrieben wurden.

Eine MRT-Studie des Herzens zeigte bei einem erheblichen Prozentsatz von Patienten myokardiale Veränderungen, die einer persistierenden myokardialen Entzündung entsprechen würden; allerdings ist der klinische Stellenwert dieser Befunde unklar. Alle nachweisbaren Organveränderungen nach COVID-19 sollten Anlass zu einer für die jeweilige Erkrankung empfohlenen Diagnostik und eventuell Therapie geben.

Wesentlich häufiger als die Organmanifestation ist jedoch das Fatigue-Syndrom, welches neben einem allgemeinen Krankheitsgefühl mit Mattigkeit, Antriebslosigkeit, schneller Erschöpfung und mangelnder Belastbarkeit auch neurokognitive Störungen (wie vermehrte Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen) umfasst. Die Mehrzahl dieser Patienten ist nur mit Mühe oder gar nicht in der Lage, den Alltag zu bewältigen. Arbeitsfähigkeit besteht bei diesen Patienten in der Regel nicht, so Welte – eine Aussage, die gerade aus gutachtlicher Sicht von Relevanz ist.

Bei kognitiven Einschränkungen (v. a. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen) empfahl Welte die Inanspruchnahme eines Hirnleistungstrainings im Rahmen von Ergotherapie oder ein eigenständiges Gedächtnistraining. Sollten ambulante Maßnahmen nicht ausreichend sein oder die Betroffenen unter einer ausgeprägten Fatigue-Symptomatik leiden, empfehle er die frühzeitige Beantragung von stationären Rehabilitationsmaßnahmen.

Eine gute Übersicht über die Problematik gibt die S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID, die auf einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) am 18. August 2021 vorgestellt wurde und die sich „als klinisch-praktischer Leitfaden für die Diagnose und Therapie einer Post-COVID- oder Long-COVID-Erkrankung“, versteht, wie Michael Pfeifer, Pastpräsident der DGP, ausführte.

„Bereits die Diagnose ist oft eine Herausforderung“, betonte Pfeifer, „denn Long-COVID ist nicht an einen schweren Krankheitsverlauf von COVID-19 gebunden.“ Auch sehr milde Verläufe könnten zu Spätsymptomen führen, die dann nicht zwangsläufig mit COVID-19 in Verbindung gebracht würden. Eine weitere Hürde sei die große Vielfalt der Krankheitssymptome, die zudem oft recht unspezifisch seien. „Wir haben es oft mit Beschwerden wie Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder einer extremen Abgeschlagenheit zu tun“, so Pfeifer. Hier sei die Abgrenzung psychischer und somatischer Symptome schwierig.

Zudem fehlen zumeist Daten zur Therapie, ergänzte A. Rembert Koczulla, Chefarzt am Fachzentrum für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land, Schönau. So heißt es in der Leitlinie etwa:

  • „Gesicherte therapeutische Interventionen bei Post-/Long-COVID sind nicht bekannt.“
  • „Die Therapie orientiert sich an den Symptomen. Für eine spezifische Therapie gibt es bislang noch keine wissenschaftlich belastbaren Belege.“
  • „Bisher ist keine kausale Therapie der Fatigue bekannt.“
  • „Bisher ist keine Prävention und kausale Therapie Long-COVID assoziierter Schmerzen bekannt.“
  • In einer multidisziplinären und individualisierten Rehabilitation konnte jedoch gezeigt werden, dass sowohl Dyspnoe wie auch Fatigue und Husten sich im Rahmen eines Rehabilitationsaufenthaltes zurückbilden, so Koczulla.

    Nach Empfehlungen der Leitlinie sind auch psychische Symptome und Erkrankungen in der Planung und Durchführung einer Long-COVID-19-Behandlung bzw. -Rehabilitation zu berücksichtigen, inklusive der Behandlung von Fatigue und Stress-Symptomen. Psychische Beeinträchtigungen sollten angehört, ernst genommen, und diagnostisch abgeklärt werden. Bei Verdacht auf Einschränkungen der psychischen Gesundheit (anhaltende Erschöpfung, anhaltende Niedergeschlagenheit, unbegründete Ängste, Einschränkung der Lebensqualität usw.) sollte eine entsprechende Diagnostik und Therapie eingeleitet werden, um frühzeitig eine adäquate Behandlung in die Wege leiten zu können und Chronifizierung zu verhindern. Psychotherapeutische Behandlung ist demnach angezeigt, wenn eine klinisch relevante Diagnose gesichert ist oder die subjektive Belastung so groß ist, dass Lebensqualität und Alltagsbelastung deutlich eingeschränkt sind.

    Gerade aus gutachtlicher Sicht problematisch ist allerdings die Empfehlung der Leitlinie, dass zur Einschätzung der Symptomatik Selbstauskunftsinstrumente zum Einsatz kommen sollten.

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden

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