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LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. September 2019 – L 1 R 469/15 B: Schlagwörter: Sachverständigengutachten, Entschädigung, Stundenbedarf für Ausarbeitung, Berechnungsmodell, Standardseite

Leitsatz:

Zur Ermittlung der für die Ausarbeitung eines Gutachtens und die Beantwortung der Beweisfragen benötigten Stunden sind die gelieferten Seiten in Standardseiten mit jeweils gerundet 1.800 Anschläge umzurechnen, und für das Verfassen einer Standardseite ist von etwa eine Stunde auszugehen.

Aus den Gründen:

I. … Im Hauptsacheverfahren begehrte die Klägerin die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem SGB VI. … Der Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beschwerdegegner) ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Das SG bestellte ihn im Rahmen der Beweisanordnung vom 14.7.2011 zum gerichtlichen Sachverständigen und beauftragte ihn mit der Beantwortung der standardisierten Beweisfragen zur Feststellung der Gesundheitsstörungen der Klägerin und deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen im Erwerbsleben. Der Beschwerdegegner erstattete auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 15.11.2011 von 10:10 bis 13:10 Uhr das fachärztliche Gutachten vom selben Tag. Dieses 28 Seiten umfassende Gutachten gliedert sich in Angaben zur Aktenlage, zur Anamnese und zu den Untersuchungsbefunden. Anschließend erfolgt die zusammenfassende Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen …

Mit seiner Rechnung vom 28.11.2011 machte der Beschwerdegegner gegenüber dem SG einen Betrag in Höhe von insgesamt 1.857,30 EUR geltend. Die hierin abgerechneten 22,5 Arbeitsstunden zum Stundensatz von 60 EUR nach der Honorargruppe M 2 schlüsselte er wie folgt auf Aktenstudium 6,5 Stunden, Ausarbeitung 8 Stunden, Untersuchung 3 Stunden, Diktat, Korrektur 5 Stunden. Weiter machte er für elektrophysiologische Untersuchungen eine Entschädigung für besondere Verrichtungen über 161,76 EUR geltend …

Die Urkundsbeamtin des SG setzte die Vergütung am 8.12.2011 auf 1.587,46 EUR fest. Für das eingeholte Gutachten sei nur ein Zeitaufwand von 19,5 Stunden (davon 3,5 Stunden für die Ausarbeitung) statt 22,5 Stunden erforderlich gewesen. …

Unter dem 20.12.2011 beantragte der Beschwerdegegner die richterliche Festsetzung.

Mit Beschluss vom 14.9.2015 hat das SG die Vergütung auf 1.801.66 EUR festgesetzt. Unter Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte bestünden keine Bedenken gegen den beantragten Zeitaufwand von 22,5 Stunden. Für die wiedergegebenen Befunde, den bisherigen Akteninhalt sowie die Anamnese seien fünf Stunden, für den gutachterlichen „Kern“-Teil weitere drei Stunden, insgesamt also acht Stunden für die Ausarbeitung des Gutachtens zu berücksichtigen …

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (im Folgenden: Beschwerdeführer) hat gegen den ihm am 23.9.2015 zugestellten Beschluss des SG unter dem 6.10.2015 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat …

II. Die Beschwerde hat teilweise Erfolg.

Die Entscheidung über die Beschwerde des Beschwerdeführers erfolgt durch Beschluss der Berichterstatterin (§ 4 Abs. 7 Satz 1 des JVEG) …

Die Beschwerde ist teilweise begründet, da die Vergütungsfestsetzung des SG hinsichtlich der anzusetzenden Stundenanzahl rechtswidrig ist. Die Vergütung ist auf der Grundlage von 21 Aufwandsstunden festzusetzen. Insbesondere sind für die Ausarbeitung des Gutachtens lediglich 6,5 statt der vom Beschwerdegegner in Ansatz gebrachten acht Stunden zu berücksichtigen.

Die Vergütung des Sachverständigen richtet sich nach § 8 JVEG. Gemäß dieser Vorschrift erhalten Sachverständige als Vergütung ein Honorar für ihre Leistungen, eine Entschädigung für Aufwand sowie Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen nach den §§ 9 bis 11, 5 bis 7 und 12 JVEG. Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt. Die letzte begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war, andernfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrags.

Das Honorar des Sachverständigen errechnet sich gemäß den §§ 9 Abs. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Maßstab der festzusetzenden Vergütung ist der Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung und durchschnittlicher Arbeitsintensität (vgl. u. a. BVerfG vom 26.6.2007 – 1 BvR 55/07; BGH vom 16.12.2003 – X ZR 206/98; LSG Thüringen vom 28.12.2011 – L 6 SF 1586/11 E …).

Wegen der Vielfalt der möglichen Sachverhalte, die einer Begutachtung zugrunde liegen können, ist es aus Gründen der Handhabbarkeit sowie der Gleichbehandlung geboten, eine gewisse Pauschalierung vorzunehmen und einen objektivierenden Maßstab zu entwickeln, der für alle Sachverständigenentschädigungen gleichermaßen gilt. Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, dass die vom Sachverständigen angegebene Zeit auch erforderlich war. Daher beschränkt sich die Überprüfung der Kostenrechnung regelmäßig auf eine Plausibilitätsprüfung anhand dieses objektivierenden Maßstabs (LSG Schleswig-Holstein vom 8.10.2012 –
L 5 SF 64/11 KO, juris Rn. 15).

Bei der Frage, wie viele Stunden für die Ausarbeitung des Gutachtens und die Beantwortung der Beweisfragen üblicherweise nötig sind, ergibt sich zunächst die Notwendigkeit, die gelieferten Seiten in Standardseiten umzurechnen. Denn erfahrungsgemäß werden die Seiten eines Gutachtens sehr individuell und teilweise mit sehr großzügigen Schriftbildern und Rändern gestaltet. Es ist daher erforderlich, eine Standardseite festzulegen. Hierfür geht der Senat von der heute leicht zu ermittelnden Anschlagszahl einschließlich der Leerzeichen aus. Eine Standardseite enthält gerundet 1.800 Anschläge.

Im zweiten Schritt ist zu ermitteln, wie viel Zeit es in Anspruch nimmt, die gutachterlichen Ausführungen zu verfassen. Der Senat geht davon aus, dass das Verfassen einer Standardseite einschließlich einer Literatur und/oder Rechtsprechungsrecherche und deren Auswertung etwa eine Stunde dauert. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nur die Standardseiten zu berücksichtigen sind, die die nähere Begründung des Gutachtens enthalten, die das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können; also nur die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung. Soweit eine Vermischung mit der teilweisen Wiedergabe des Akteninhalts, der Anamnese und der Befunde erfolgt, muss die eigentliche Beurteilung herausgefiltert werden. Nur diese Seiten werden mit einer Standardseite pro Stunde vergütet (so auch LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.; LSG Thüringen, a.a.O.; Bayerisches LSG vom 17.5.2010 – L 15 SF 396/09), und das unabhängig von der Honorargruppe. Denn die Schwierigkeit des Gutachtens wird bereits mit dem Stundensatz abgegolten und kann daher beim Zeitaufwand nicht zusätzlich berücksichtigt werden.

Dies zugrunde gelegt, kann lediglich ein Zeitaufwand von 6,5 Stunden als plausibel angenommen werden. Die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen beginnt auf Seite 21 des Gutachtens und endet auf Seite 27 oben. Diese 6,5 Seiten sind in vollem Umfang zu berücksichtigen. Sie enthalten nach den eben genannten Kriterien keine Passagen, die herauszufiltern sind. Die Seiten 21 bis 26 des Gutachtens weisen durchschnittlich 1.856 Anschläge auf. Insgesamt entsprechen die 6,5 Seitenzahlen demnach auch 6,5 Standardseiten, so dass ein Zeitaufwand von 6,5 Stunden plausibel ist. Dies wird vom Beschwerdegegner in seiner Beschwerdeerwiderung auch selbst angenommen.

Der Beschwerdegegner hat im Rechtsstreit S 15 R 342/10 ein durchschnittlich schwieriges Gutachten erstattet. Die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Honorargruppe M 2 sind erfüllt. Die weiteren Vergütungsbestandteile sind im vorliegenden Fall nicht (mehr) streitig.

Unter Zugrundelegung von insgesamt 21 Stunden ergibt sich bei einem Stundensatz von 60 EUR eine Vergütung für Zeitaufwand in Höhe von 1.260 EUR. Zuzüglich der Schreibgebühren von 39 EUR, Kosten für Aktenkopien von 2 EUR, Portoauslagen von 8 EUR, der Entschädigung für besondere Verrichtungen (§ 10 JVEG) über 115 EUR sowie der Mehrwertsteuer von 19 % (270,56 EUR) ergibt sich eine Gesamtsumme von 1.694,56 EUR …

Redaktionell überarbeitete Fassung,
eingereicht von P. Becker, Kassel