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TCM-Konzepte – aktuell präsentiert und interpretiert

54. TCM Kongress Rothenburg, 16.-20.5.2023

Behandlungen nach dem Konzept der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) sind bei vielen Patienten beliebt und werden häufig durchgeführt. Somit sind grundlegende Kenntnisse durchaus auch aus gutachtlicher Sicht relevant (etwa bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit entsprechender Behandlungen oder auch bei Haftpflicht-Fragen).

Umfangreiche aktuelle Informationen dazu gab es auf dem 54. TCM Kongress Rothenburg vom 16. bis 20. Mai 2023, der nach 3 Jahren Pandemie erstmals wieder in Präsenz stattfand, organisiert von der AGTCM. Der Themenschwerpunkt des Kongresses lautete: „Entsprechungen des Holzes – Aufbruch und Kreativität / Stress und Frustrationen – Auswirkungen auf Körper und Seele“. So ging es etwa um „Akupunktur-gestützte Traumatherapie, die Behandlung posttraumatischer Kinder, Ohrakupunktur bei Stress, Angst und Trauma, Wut aus daoistischer Sicht, das Fördern der Genesung nach einer Krebsbehandlung mit Akupunktur oder um Akupunktur und Diätetik bei Disharmonien der Bauch-Hirn-Achse.“

Physiologie, Anatomie und Krankheiten nach dem Konzept der TCM

Dass der TCM ein gegenüber der wissenschaftlichen Medizin völlig anderes Verständnis von Physiologie, Anatomie und Krankheiten zugrunde liegt, nach einem ganz eigenständigen Konzept, zeigen etwa folgende Ausführungen der Heilpraktikerin, TCM- und Diplom-Tuina-Therapeutin Christiane Tetling aus Dortmund zum Holz als einem der sogenannten 5 Elemente, dem ja der Kongress gewidmet war:

„Im Modell der 5 Elemente sind die Wandlungen der Jahreszeiten der Erde und des menschlichen Lebens dargestellt. Das Holz repräsentiert den Frühling, den Osten, den Sonnenaufgang, die starken Kräfte, die nach der Ruhe des Winters die Natur wieder
erwecken. Die Wandlungsphase Holz steht für die kraftvolle Wiedergeburt und die
gerichtete Bewegung der Frühlingsenergie. ...

Das Holz ist für den geschmeidigen Fluss des Qi [Lebensenergie, die den Körper durchfließt] zuständig. Das Qi und das Blut müssen exakt immer da sein wo sie gerade benötigt werden. Die Bewegung der Energie ist das Wesentliche jeder Handlung. Das Holz ist für den Anabolismus und Katabolismus des Körpers zuständig, für die Entgiftung und die notwendigen Stoffwechselprozesse verantwortlich. Das Holz ermöglicht das Sein an sich.“

Die völlig andere Definition von Organen und deren Funktionsweise in der TCM beschrieb Dr. Uwe Siedentopp, Arzt für Naturheilverfahren, Akupunktur und Chinesische Medizin sowie Ernährungswissenschaftler aus Kassel:

  • „Organe in westlicher Medizin sind Gewebe festgelegter Gestalt mit physiologischen Aufgaben.“
  • „Im alten China wurden psychische und physische Funktionen immer als Einheit gesehen.“
  • „Organe in TCM haben allgemeine, psychosomatische Bedeutung und Funktionen `Funktionskreise´.
  • „Zentrum der Funktionskreise ist die Erde = `Mitte´.“
  • „Funktionen der `Mitte´ = Magen / Milz-Pankreas.“
  • „Bauch als `Mitteorgan´ ist die Drehscheibe der Gefühle und der Informationsverarbeitung.“
  • „Milz und Magen gelten als die Wurzel von Qi, Blut, Yin und Yang. Ob die Funktion von Milz und Magen normal ist oder nicht, ist der entscheidende Punkt, ob das Yuan Qi (Ursprungs-Qi) ausreichend und üppig vorhanden ist.“
  • Auch gilt es in der TCM, die besonderen Syndrome zu kennen. So nannte der Heilpraktiker Christophe Mohr aus Tholey im Kurs „Einführung in die Integrative Kinderwunschbehandlung“ folgende „TCM-Syndrome bei weiblicher Infertilität“: „Nieren-Jing-Schwäche / Nieren-Yin-Schwäche / Nieren-Yang-Schwäche / Herz-Qi-Stagnation / Leber-Qi-Stagnation / Blut-Stagnation / Schleim – Feuchtigkeit“.

    Schmerztherapie über die „tendinomuskulären Leitbahnen“

    Aus praktisch-medizinischer (schmerztherapeutischer) Sicht nachvollziehbar waren dagegen großenteils die Ausführungen des Heilpraktikers und Schulleiters der CCM-Nord Sönke Dorau aus Hamburg zur „Behandlung von Schmerzen entlang der tendinomuskulären Leitbahnen (TML) von Leber und Gallenblase“ – trotz der Bezüge auf TCM-Konzepte, etwa auf das „Qi“.

    Diese sog. tendinomuskulären Leitbahnen

  • „repräsentieren Muskelketten, Sehnen, Bänder und Faszien, die dem Verlauf der Hauptleitbahnen folgen.“
  • „ermöglichen das Strecken und Beugen der Muskulatur, sind mit Knochen und Gelenken verbunden.“
  • „haben keine fest lokalisierten Akupunkturpunkte.“
  • Für die Behandlung gilt dann, so Dorau:

  • „Die Diagnostik und das Auffinden der zu behandelnden Ashi-Punkte finden mittels der Palpation statt.“
  • „Die Behandlung erfolgt über die Nadelung oder die Akupressur von Ashi-Punkten, also besonders druckschmerzhaften Punkten entlang einer tendinomuskulären Schmerzbahn.“
  • „Es werden meist recht dicke und lange Nadeln benutzt (0,04 x 6 cm).“
  • „Die Nadeln werden nach der Stimulation wieder gezogen und verbleiben nicht im Körper.“
  • Um den Stoffwechsel und die Durchblutung anzuregen, wird der behandelte Bereich nach der Nadelung massiert.“
  • Sinosomatics – eine Kombination von TCM und Psychotherapie

    Vorgestellt wurden aber auch neue Behandlungskonzepte; so Sinosomatics, eine Kombination von TCM mit Psychotherapie. Dabei handelt es sich um ein therapeutisches Verfahren, das Erfahrungswissen aus der ostasiatischen Heilkunde, insbesondere der TCM, mit Elementen der modernen Hypnotherapie kombiniert, erklärten Florian Beissner, Professor für Systemische Neurowissenschaften an der Medizinischen Hochschule Hannover sowie Heilpraktiker, und Annemarie Schweizer-Arau, Fachärztin für Psychosomatik aus Dießen am Ammersee, welche das Verfahren entwickelt haben, anwenden und lehren. Es handele sich weder um reine Psychotherapie noch um einen rein somatischen Ansatz, sondern um eine integrierte Kombination aus beiden.

    Bei der Behandlung lasse sich der Therapeut von den leiblichen Empfindungen des Patienten bzw. der Patientin leiten, die in Form von Fließen, Druck, Schmerz, Wärme, Kälte etc. in der Trance im Verlauf der Sitzung auftreten. Die Verbindung von traditionellem Wissen mit neuer Phänomenologie und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen führe zu einem intuitiven Verständnis von TCM-Krankheitskonzepten wie Schleim, Hitze oder Wind, so Beissner und Schweizer-Arau. Sinosomatics eröffne damit einen Zugang zur reichen, bildhaften, aber größtenteils vorsprachlichen Welt der Emotionen bzw. des Unterbewusstseins und erlaube die Behandlung eines breiten Spektrums psychischer, somatischer und psychosomatischer Beschwerden.

    Die Ärztin Antonia Pfeiffer stellte die Ergebnisse einer Studie vor, in der 25 Patienten direkt im Anschluss an eine Sinosomatics-Sitzung interviewt wurden. Der Fokus habe dabei gelegen auf der Technik des „In die Hände Legens“. Hierbei werden schwierige Themen, Ambivalenzen, körperliche Symptome etc. symbolisch in eine Hand gelegt, die der Patient selbst wähle. Dabei verändere sich die Qualität des leiblichen Empfindens; meist entstehe eine Symmetrie im Erspüren der Arme. Viele Patienten berichteten auch über Wärme und Wohlbefinden.

    Aus gutachtlicher Sicht ist allerdings festzustellen, dass ein eindeutiger, klinisch relevanter Wirksamkeitsnachweis dieser neuen, erst seit 2020 so benannten und bisher nur wenig verbreiteten Verfahrens offenbar noch nicht erbracht wurde. Es handelt sich bei Sinosomatics somit um eine Behandlungsmethode, die nicht als „medizinisch notwendig“ angesehen werden kann und die daher auch nicht unter die Leistungspflicht etwa der privaten Krankenversicherung (PKV) fällt.

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden