„Die Fortschritte in der Onkologie sind beeindruckend, aber sie haben aus augenärztlicher Perspektive mitunter einen Preis“, stellte Philipp Steven vom Centrum für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln fest. Vor allem neuartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) zeigen zwar vielversprechende Effekte gegen Tumoren, können jedoch auch toxische Veränderungen an der Hornhaut hervorrufen. „Wir sehen sogenannte Pseudomikrozysten, die sich in die optische Achse bewegen und das Sehvermögen massiv beeinträchtigen können“, erläuterte Steven, Experte für onkologische Nebenwirkungen am Auge.
Diese Nebenwirkungen sind nicht nur belastend, sie können auch einen Stopp der Krebstherapie erzwingen, um das Augenlicht zu erhalten. „Umso wichtiger ist es, die vorgeschriebenen augenärztlichen Kontrollen vor und während der ADC-Therapie konsequent umzusetzen“, betonte er.
Ähnliches gilt für klassische Therapien wie Chemotherapie und Bestrahlung – sie können das Auge dauerhaft schädigen, von der Netzhaut bis zur Tränendrüse. Gravierend sind auch die Folgen nach Knochenmarktransplantationen: Von jährlich 4000 Transplantierten entwickeln bis zu 1200 eine schwere behandlungsbedürftige Augen-Nebenwirkung. „Umfragen zeigen, dass aber nur 10 bis 20 Prozent der Betroffenen in spezialisierten Zentren versorgt werden“, kritisierte der DOG-Experte.
Diese Zahl wirft ein Schlaglicht auf das grundsätzliche Problem. „Es gibt keine flächendeckend etablierten Vor- und Nachsorgestrukturen für Nebenwirkungen am Auge, die infolge neuer Krebstherapien auftreten“, stellte Steven fest. Noch handle es sich bei den ADCs um eine relativ geringe Zahl an Patientinnen und Patienten, die innerhalb von Studien behandelt werden. „In Zukunft aber ist zu erwarten, dass viele weitere Tumorerkrankungen mit ADCs oder anderen Immuntherapien behandelt werden“, prognostizierte Steven. Dementsprechend würde auch die Rate an okulären Nebenwirkungen ansteigen, die einer Therapie bedürfen.
Wirksame Ansätze zur Behandlung gibt es bereits. „Wir empfehlen Tränenersatzmittel, je nach Befund auch Kortison-Augentropfen“, so Steven. „Gute Erfahrungen haben wir außerdem mit Spezialkontaktlinsen und Eigenblut-Augentropfen gemacht.“ Entscheidend sei jedoch die enge Kommunikation zwischen onkologischem und augenärztlichem Fachpersonal. „Am effektivsten ist, gemeinsam die Dosis der Krebsmedikamente anzupassen“, erläuterte Steven. So könne die Toxizität begrenzt und in vielen Fällen eine vollständige Abheilung erreicht werden.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden