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BGH zum Tod eines Patienten durch Vollnarkose bei langer zahnärztlicher Behandlung

Zum Fall

Nach den Feststellungen des Landgerichts sollte bei dem unter ständigen Schmerzen wegen stark kariöser Zähne leidenden Patienten, der sich aus Furcht jahrelang nicht hatte behandeln lassen, eine Zahnsanierung unter Vollnarkose stattfinden. Für die Durchführung der Betäubung, für die (einschließlich Einleitungs- und Aufwachphase) mit einer Dauer von acht Stunden gerechnet wurde, gewann die angeklagte Zahnärztin den angeklagten Anästhesisten.

Dieser klärte den Patienten jedoch nicht darüber auf, dass seine apparative Ausstattung nicht den Mindestanforderungen der ärztlichen Leitlinien entsprach und diesen zuwider auch kein begleitendes Personal eingesetzt werden würde. Da sich der Umfang der morgens um 9:00 Uhr begonnenen Behandlung als größer erwies als gedacht, dauerte diese nach Ablauf der vorgesehenen Zeit weiter an. Gegen 17:30 Uhr stellte der Anästhesist erstmals eine abfallende Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz des Patienten fest, dessen Werte sich bald weiter verschlechterten. Um 18:10 Uhr betätigte die Zahnärztin auf Geheiß des Anästhesisten den Notruf. Ein von den Sanitätern – erstmals – angeschlossenes EKG-Gerät zeigte eine Nulllinie an. Der Patient verstarb noch am Abend im Krankenhaus.   

Der Tod beruhte aufder Narkose, während der es – bedingt durch die Spontanatmung durch einen engen Beatmungs-Tubus – zu einem schweren Lungenödem gekommen war. Dem Anästhesisten war bewusst, dass seine Behandlung standardwidrig war und er hierüber nicht aufgeklärt hatte. Es war für ihn vorhersehbar, dass sich die typischen Risiken einer Vollnarkose erfüllen und zum Versterben des Patienten führen konnten. Er ging jedoch im Vertrauen in seine Fähigkeiten davon aus, dies vermeiden zu können. Die Zahnärztin erkannte die Standardwidrigkeit nicht und vertraute darauf, dass der Anästhesist die Narkose mit der gebotenen Sorgfalt ausführen werde.

 

Juristische Bewertung

Das Landgericht hat die Narkose durch den angeklagten Anästhesisten als vorsätzliche Körperverletzung in Gestalt einer das Leben gefährdenden Behandlung gewertet. Mangels ausreichender Aufklärung habe der Geschädigte in den Eingriff nicht wirksam eingewilligt. Es hat außerdem den für den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt der Körperverletzung und der Todesfolge darin gesehen, dass der Auftritt eines Lungenödems eine spezifische Gefahr einer Vollnarkose darstelle.

Die Überprüfung des Urteils auf die Revision des angeklagten Anästhesisten hat im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben, befand der BGH. Der Strafausspruch unterlag dagegen aus juristischen Gründen der Aufhebung, d. h. die Höhe der Strafe muss vom Landgericht nochmals entschieden werde.

Auch den Freispruch der angeklagten Zahnärztin hat der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Bei seiner Wertung, dass sie auf eine ordnungsgemäße Durchführung der Anästhesie habe vertrauen dürfen, hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass die Narkose für eine außerordentlich lange Dauer geplant war und diese Planung zudem auf unsicherer Grundlage entstanden war, weil der Geschädigte eine vorherige Untersuchung seiner Zähne nur eingeschränkt zugelassen hatte. Ferner hat das Landgericht nicht untersucht, ob die auf die Revision der Staatsanwaltschaft nach Überschreitung der ursprünglich vorgesehenen Behandlungsdauer dem Gebot gegenseitiger Information und Koordination gegenüber dem Anästhesisten gerecht geworden war.

 

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden