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LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Juni 2022 – L 7 KO 4/21 (VE)

Schlagwörter: Gutachten – Sachverständige – Entschädigung – Kenntnisstand – Literaturrecherche

Leitsatz:

1. Im Rahmen der Vergütung als Sachverständiger für ein Gutachten nach dem JVEG ist eine Literaturrecherche grundsätzlich nicht gesondert vergütungsfähig.

2. Ein gesondert zusätzlich zu berücksichtigender Zeitaufwand für Literaturrecherche bzw -studium kommt allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht, die vorher anzuzeigen sind.

Aus den Gründen:

I.

Der Antragsteller begehrt die Festsetzung einer Vergütung als Sachverständiger für ein eingereichtes Gutachten nach dem JVEG.

Im zugrundeliegenden Berufungsverfahren beim LSG Niedersachsen-Bremen zum Aktenzeichen L 10 VE 28/19 – gerichtet auf die von der dortigen Klägerin gegenüber dem Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie begehrten Anerkennung eines Impfschadens gemäß § 60 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Gestalt einer subakuten sklerosierenden Panencephalitis (SSPE) nach einer Impfung mit dem Kombinationswirkstoff „MRR Triplovax“ gegen Masern, Mumps und Röteln im Jahr 2004 - ist der in der neurologischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover tätige Antragstelle mit Beweisanordnung vom 25. Mai 2020 gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 und Abs. 4, § 118 Abs. 1 SGG, §§ 404 ff. ZPO zum Sachverständigen ernannt und damit beauftragt worden, ein Gutachten nach Aktenlage zur Frage eines durch eine Impfreaktion verursachten Gesundheitsschadens zu erstellen. …

Auf von der Klägerin im Verfahren L 10 VE 28/19 geäußerte Einwände gegen die Bestellung des Antragstellers, weil dieser kein „Viren/Impfexperte“ sei, gab der Antragsteller mit Schreiben vom 1. Juli 2020 an, dass die Beweisfrage ganz vorrangig dem Fachgebiet eines Neurologen zuzuordnen sei, weil zur Bewertung der Kausalität neben der Analyse der Vorgeschichte und der Bewertung der Befunde hinsichtlich der Komplikationen von Impfungen eine sehr genaue Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur zu Impfschäden erforderlich sei, die sehr umfangreich und vorrangig von Neurologen verfasst sei. Zur persönlichen Kompetenz merkte er an, dass er seit mehreren Jahrzenten als Neurologe in der Hochschulklinik tätig sei und dass Schäden des Nervensystems durch ärztliche Maßnahmen seit langer Zeit sein klinischer und wissenschaftlicher Schwerpunkt seien. Gerade in den letzten Jahren habe er sich intensiv mit durch Impfungen verursachten Schäden am Nervensystem befasst und dahingehend auch mittlerweile recht genau 100 Gutachten für Gerichte und Behörden verfasst.

Nach gerichtlichen Erinnerungen … ging am 25. Februar 2021 das auf den 22. Februar 2021 datierte und insgesamt 22,5-seitige Sachverständigengutachten inkl. eines 1,5–seitigen Literaturverzeichnisses ein. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf die Gerichtsakte L 10 VE 28/19 Bezug genommen.

Mit zwei Rechnungen vom 22. Februar 2021 machte der Antragsteller für die Gutachtenerstellung inklusive Aktenstudium die Festsetzung von EUR 3.342,00 geltend unter Ansetzung von 3 Stunden für die „Aktendurchsicht“, 10 Stunden für die „Literaturrecherche“, 9 Stunden für die „Abfassung des Gutachtens“ und 6 Stunden für „Diktat und Korrektur“, insgesamt also 28 Stunden. Diese Stundenzahl multiplizierte der Antragsteller mit dem Betrag von EUR 100,00. Außerdem rechnete er Umsatzsteuer von 19% in Höhe von EUR 532,00 ab und Portoauslagen in Höhe von EUR 10,00 sowie Schreibgebühren in Höhe von EUR 36,00 für 39.759 Anschläge zu EUR 0,90 je Tausend Anschläge und Kopierkosten in Höhe
von EUR 22,00 für 44 Seiten zu je EUR 0,50.

… Unter dem 10. März 2021 setzte die zuständige Kostenbeamtin der Geschäftsstelle beim LSG Niedersachsen-Bremen die Vergütung des Antragstellers auf insgesamt EUR 1.967,20 fest, u. a. unter Verweis auf durch die Rechtsprechung gebildete Erfahrungswerte unter Ansetzung von insgesamt 16 Stunden unter Zuordnung des Gutachtens in die Honorargruppe M3 mit einem Stundensatz von EUR 100,00. Die angesetzten 10 Stunden für Literaturrecherche seien mangels hinreichender Erläuterungen und Belege nicht zu berücksichtigen. Die abgerechneten Schreibkosten seien teilweise zu kürzen …

Mit Schreiben vom 5. April 2021 hat der Antragsteller die richterliche Festsetzung der Vergütung für das von ihm erstattete Gutachten beantragt. Er halte die Kürzung für ungerechtfertigt. Die Literaturrecherche sei zwingend erforderlich gewesen aufgrund der Schwierigkeit der Begutachtung eines neurologischen Impfschadens mit der Klärung einer ursächlichen Beziehung zwischen einer viele Jahre zurückliegenden Impfung und einer extrem seltenen neurologischen Erkrankung. Ein solcher Fall sei in der gutachterlichen Praxis noch nicht vorgekommen, weshalb die wissenschaftliche Literatur computergestützt habe gesichtet werden müssen, wobei alle im Literaturverzeichnis erfassten Publikationen trotz intensiver wissenschaftlicher Beschäftigung mit neurologischen Impfschäden vorher unbekannt gewesen seien. …

II.

Der Antrag des Antragstellers auf richterliche Festsetzung der Vergütung ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG a. F. statthaft …

a) …

b) Die Vergütung der Sachverständigen, die vom Gericht herangezogen werden, richtet sich nach den Vorschriften des JVEG (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 JVEG). Maßgeblich sind im vorliegenden Fall gemäß § 24 JVEG die Vorschriften des JVEG in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung (im Folgenden: JVEG a. F.), weil der Antragsteller als Sachverständiger vom LSG Niedersachsen-Bremen mit Beweisanordnung vom 25. Mai 2020 vor dem Inkrafttreten der Neufassung des JVEG zum 1. Januar 2021 durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I 3229) herangezogen worden ist. …

Gemäß § 8 Abs. 1 JVEG a. F. erhalten Sachverständige als Vergütung ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG a. F.), Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG a. F.), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG a. F.) sowie Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG a. F.). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es gemäß § 8 Abs. 2 JVEG a. F. für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (§ 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG a. F.) und nach dem nach § 9 JVEG a. F. zu bestimmenden Stundenhonorar festgesetzt.

c) aa) Hinsichtlich der Bemessung der zu vergütenden Stundensätze sieht § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG a. F. entsprechend der Zuordnung zu einer bestimmten Honorargruppe Stundensätze zwischen EUR 65,00 und EUR 125,00 für die Honorargruppen 1 bis 13 und Stundensätze zwischen EUR 65,00 und EUR 100,00 für die speziellen medizinischen Honorargruppen M1 bis M3 vor. …

Im vorliegenden Fall geht der Senat unter Berücksichtigung des schwierigen Begutachtungsgegenstands eines Impfschadens mit komplexen Kausalitätszusammenhangsproblemen von einem insgesamt als hoch einzustufenden Schwierigkeitsgrad und einem daher insgesamt der Honorargruppe M3 unterfallenden Gutachten aus.

bb) Hinsichtlich der Festlegung des auf dieser Grundlage vergütungsfähigen Zeitaufwands ist anhand eines am Grundsatz der Erforderlichkeit der Vergütung orientierten abstrakten Maßstabs sowie unter Berücksichtigung des jeweiligen Gutachtensachverhalts, -gegenstands und -inhalts der für die auftragsgemäße Begutachtung objektiv anzusetzende zeitliche Umfang zu bestimmen. Dabei sind für die Erstellung des Gutachtens nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 5. Juli 2021 - L 7 KO 3/20 (U) – und vom 12. Oktober 2021 – L 7 S. 5/19 B (KR) zur Gewährleistung eines objektiven Maßstabs hinsichtlich des erforderlichen Zeitaufwandes die vier vergütungspflichtigen Arbeitsschritte

  • Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten,
  • Untersuchung und Anamnese,
  • Abfassung der Beurteilung (Ausarbeitung),
  • Diktate und Durchsicht (Korrektur).
  • zu unterscheiden, wobei jeweils nicht die individuelle Arbeitsweise des Sachverständigen und damit die tatsächlich aufgewandte Zeit maßgeblich ist, sondern gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG a. F. die für die Erstattung des Gutachtens erforderliche und nach einem abstrakten Maßstab zu ermittelnde Zeit (BVerfG vom 26. Juli 2007 - 1 BvR 55/07; BGH vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98). Diese ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand orientiert, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen braucht, um sich nach sorgfältigem Aktenstudium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehenden Überlegungen seine gutachterliche Stellungnahme zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen (BVerfG vom 26. Juli 2007 - 1 BvR 55/07 -; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98). Dabei sind der Umfang des ihm unterbreiteten Streitstoffs, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang seines Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen (BVerfG vom 26. Juli 2007 - 1 BvR 55/07 –; BGH vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98).

    (a) Für den ersten Arbeitsschritt „Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten“ erachtet der Senat unter Zugrundelegung des dargelegten objektiven Maßstabs zur Ermittlung des erforderlichen Zeitaufwandes sowie aus Gründen der Praktikabilität und der Handhabbarkeit für die Kostenbeamtinnen und -beamten einen einheitlichen Durchschnittswert von 100 Aktenseiten pro Stunde für angemessen …

    Bei einer zum Zeitpunkt der Gutachtenbeauftragung 96 Seiten umfassenden Gerichtsakte und einer 213 Seiten umfassenden Verwaltungsakte ergeben sich 309 Seiten bzw. entsprechend die vom Antragsteller in seiner Rechnung angesetzten 3 Stunden.

    (b) Der zweite Arbeitsschritt „Untersuchung und Anamnese“ entfällt im vorliegenden Fall, weil ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen war.

    (c) Für den dritten Arbeitsschritt „Abfassung der Beurteilung“ (Ausarbeitung) ist nach den maßgeblichen Vergütungsmaßstäben (vgl. Beschlüsse des Senats vom 5. Juli 2021 – L 7 KO 3/20 (U) – und vom 12. Oktober 2021 – L 7 S. 5/19 B (KR) für die Ausarbeitung unter Beantwortung der vom Gericht gestellten Fragen als „Kernstück“ des Gutachtens ein Zeitaufwand von einer Stunde je Standardseite mit 1.800 Anschlägen zu berücksichtigen.

    Der Arbeitsschritt umfasst die eigentliche Gedankenarbeit im Zusammenhang mit der Auswertung der erhobenen Befunde und die Beantwortung der vom Gericht gestellten Fragen und deren nähere Begründung, also den Teil des Gutachtens, den das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können, wozu die diktatreife Vorbereitung der Beurteilung gehört - ohne Wiedergabe der Anamnese, der Untersuchungsergebnisse oder Befunde - einschließlich der Begründung der vom Sachverständigen getroffenen Schlussfolgerung, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung mit entgegenstehenden Vorgutachten, anderslautenden Befunden sowie die Auseinandersetzung mit kontroversen Meinungen. Nur dieses „Kernstück“ des Gutachtens, also nur die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung, sind bei dem Arbeitsschritt „Abfassung der Beurteilung“ (Ausarbeitung) vergütungsfähig, wobei in den Fällen, in denen eine Vermischung mit der teilweisen Wiedergabe des Akteninhalts, der Anamnese und der Befunde erfolgt ist, zusätzlich die eigentliche Beurteilung zunächst herausgefiltert werden muss (vgl. Beschlüsse des Senats vom 5. Juli 2021 - L 7 KO 3/20 (U) – und vom 12. Oktober 2021 – L 7 S. 5/19 B (KR). Bei der Frage, wie viele Stunden für die Ausarbeitung des Gutachtens und die Beantwortung der Beweisfragen üblicherweise nötig sind, geht der Senat zudem weiterhin in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen und im Hinblick darauf, dass dies von der überwiegenden Zahl der Landessozialgerichte auch so gehandhabt wird, weiterhin davon aus, dass das Verfassen einer Standardseite einschließlich einer etwaigen üblichen Literatur- und/oder Rechtsprechungsrecherche und deren Auswertung etwa eine Stunde dauert, wobei sich die Notwendigkeit ergibt, die als „Kernstück“ des Gutachtens einzustufenden Seiten in Standardseiten umzurechnen, weil erfahrungsgemäß die Seiten eines Gutachtens sehr individuell und teilweise mit sehr großzügigen Schriftbildern und Rändern gestaltet werden. In Anlehnung an die DIN 1422 legt der Senat als Normseite eine Seite mit 1.800 Anschlägen zugrunde (vgl. Beschlüsse des Senats vom 5. Juli 2021 - L 7 KO 3/20 (U) – und vom 12. Oktober 2021 – L 7 S. 5/19 B (KR).

    Das vom Antragsteller erstellte Gutachten umfasst danach zwar 22,5 Seiten, daraus errechnen sich jedoch bei insgesamt 39.759 Anschlägen lediglich durchschnittlich 1.767,07 Anschläge je Seite und damit nur 20,09 Normseiten.

    Weiterhin findet sich die maßgebliche Beantwortung der vom LSG Niedersachsen-Bremen gestellten Fragen und deren nähere Begründung in dem vom Antragsteller erstellten Gutachten unter der Überschrift „III. c) Diskussion der Beweisfragen“ und „IV. Zusammenfassung/Beantwortung der Beweisfragen“ auf den Seiten 16 oben bis 21 Mitte, mithin auf 5,5 Seiten. In der Gesamtschau auch zum Kernstück des Gutachtens zu zählen sind zudem die unter „III. b) allgemeine medizinische Erläuterungen“ auf den Seiten 11 oben bis 15 oben, mithin auf 4,25 Seiten, enthaltenen grundsätzlichen medizinischen Erläuterungen zur etwaigen ursächlichen Beziehung zwischen einer Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln und einer SSPE Hirnerkrankung. Nicht als Kernstück des Gutachtens berücksichtigungsfähig sind dagegen neben Deckblatt und Inhaltsverzeichnis die unter „I. Allgemeines / Aufgaben des Gutachtens“ auf den Seiten 3 bis 4 erfolgte Wiederholung des Gutachtengegenstands und die unter „II. Medizinischer Sachverhalt (Aktenauszug)“ und „III. a) zusammenfassende Darstellung des Sachverhalts“ auf den Seiten 5 bis 8 bzw. 9 bis 10 erfolgte vollständige Wiederholung des bereits aus der Gerichts- und der Verwaltungsakte ersichtlichen Sachverhalts mit teilweise wörtlicher Wiedergabe ärztlicher Unterlagen, wie Gutachten und Arztbriefe.

    Die damit als Kernstück des Gutachtens berücksichtigungsfähigen 9,75 Seiten sind zudem auf 9,57 Normseiten umzurechnen (9,75 / 1.800 * 1.767,07). Ausgehend von einem Zeitaufwand von einer Stunde für die Ausarbeitung einer Normseite errechnet sich damit ein vergütungsfähiger Zeitaufwand von 9,57 Stunden für die Ausarbeitung des Gutachtens.

    (d) Für den vierten Arbeitsschritt „Diktat und Korrektur“ eines Gutachtens

    können im Rahmen des Arbeitsschrittes „Diktat und Korrektur“ nur 14,5 Seiten als vergütungsfähig eingestuft werden, woraus sich nach der bereits ausgeführten Umrechnung 14,23 Normseiten errechnen (14,5 / 1.800 * 1.767,07). Bei einem Zeitaufwand von einer Stunde für sechs Seiten errechnet sich danach ein Zeitaufwand für Diktat und Korrektur des Gutachtens im Umfang von 2,37 Stunden.

    (e) Soweit der Antragsteller im Rahmen seiner Abrechnung einen weiteren gesonderten Arbeitsaufwand für die Recherche von Publikationen zur Klärung einer ursächlichen Beziehung zwischen der Impfung und einer extrem seltenen neurologischen Erkrankung berücksichtigt wissen will, besteht für die Abrechnung dieses zusätzlichen gesonderten Arbeitsaufwands außerhalb der dargelegten Arbeitsschritte ohne wesentliche und eine Abweichung rechtfertigende Besonderheiten im Einzelfall weder eine Grundlage noch eine Notwendigkeit.

    Nicht gesondert vergütungsfähig sind fachliche Recherchetätigkeiten, die den Sachverständigen fachlich in die Lage versetzen sollen, das Gutachten zu erstatten, also die Kompetenz für die Fragestellung zu erwerben (z. B. die Grundlagen der Kausalitätsprüfung in der gesetzlichen Unfallversicherung), weil dieser Kenntnisstand vom Sachverständigen erwartet wird als grundlegende Kompetenz, überhaupt zum Sachverständigen ernannt zu werden und daher bereits mit der für die üblichen Arbeitsschritte festgesetzten Stundenvergütung abgegolten wird (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 6. August 2010 - L 12 KO 1653/10 – und vom 30. Juli 2019 – L 10 KO 1952/19 B). Gleiches gilt auch für Literaturrecherchen innerhalb der ohnehin bestehenden Pflicht, sich im medizinischen Fachbereich der beruflichen und der gutachterlichen Tätigkeit auf dem Laufenden zu halten (vgl. Bayerisches LSG vom 9. Mai 2018 – L 12 S. 40/17), weshalb auch der Erwerb und ggf. die Pflege der für die Gutachtenerstellung im jeweiligen Fachbereich erforderlichen Kenntnisse bereits Bestandteil des im Rahmen der dargestellten Arbeitsschritte ermittelten objektiv kalkulierten Zeitaufwands ist. Ein gesondert zusätzlich zu berücksichtigender Zeitaufwand für Literaturrecherche bzw. -studium dürfte daher, auch unter Berücksichtigung der in § 407a ZPO normierten Prüf- und Anzeigepflicht bzgl. der für den konkreten Gutachtenauftrag erforderlichen Kompetenz, allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen können, wenn diese z. B. vom beauftragenden Gericht ausdrücklich verlangt wird, oder wenn der Rückgriff auf Standardliteratur bei der Beurteilung aus offensichtlichen oder vom Sachverständigen im Einzelnen dargelegten Gründen nicht zur Beantwortung der gestellten Beweisfragen ausreicht, z. B. bei im klinischen oder gutachterlichen Alltag sehr seltenen Krankheiten oder Kausalzusammenhängen (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 30. Juli 2019 – L 10 KO 1952/19 B).

    Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht ersichtlich, weil der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt nach seiner Gutachterbestellung auf fehlende und daher durch gesonderte und umfangreiche Recherche erst anzueignende spezielle Fachkenntnisse hingewiesen hat. Im Gegenteil hat der Antragsteller auf die vor der Gutachtenerstellung von der Klägerin im Verfahren L 10 VE 28/19 geäußerten Einwände gegen seine Bestellung ausdrücklich die „Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur zu Impfschäden“ als wesentliche Voraussetzung für die Befähigung zur Begutachtung angegeben und hinsichtlich seiner persönlichen Kompetenz auf die intensive Befassung „mit durch Impfungen verursachten Schäden am Nervensystem“ in „recht genau 100 Gutachten“ hingewiesen. Irgendeinen Hinweis auf eine besondere Alleinstellung der zu begutachtenden Sachverhaltskonstellation beinhaltete die Stellungnahme genauso wenig, wie die Anzeige fehlender und erst noch durch eine umfangreiche Literaturrecherche anzueignender spezieller Fachkenntnisse. Mit dieser nach Erhalt der vollständigen Gerichts- und Verwaltungsakten und damit bereits in Kenntnis des genauen Begutachtungsgenstands abgegebenen Stellungnahme ist daher ohne eine substantiierte und belegte Erläuterung die im April 2021 eingereichte Erklärung zur Erforderlichkeit der umfassenden Sichtung wissenschaftlicher Literatur aufgrund der besonderen und singulären Begutachtungsproblematik nicht vereinbar. Wenn aber die besondere einzelfallbezogene Schwierigkeit und die daraus resultierende Erforderlichkeit der vertieften Literaturrecherche zunächst nicht absehbar gewesen sein und sich erst im Rahmen der Begutachtung herausgestellt haben sollte, müsste der Antragsteller erläutern können, zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen diese Abweichung erkennbar geworden sein und welche genaue Recherchereihenfolge mit welchen genauen Recherchegegenständen und -umfängen sich daraus ergeben haben soll. Die Darlegung einer gesonderten Rechercheerforderlichkeit ist hinreichend substantiiert nur auf den Seiten 18 und 19 des Gutachtens bezüglich einer Frau Prof. C. zugeschriebenen wissenschaftlichen Einschätzung und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit einer Verifizierung durch eine Datenbanksuche über PubMed ersichtlich. Insoweit sind jedoch trotz ausdrücklicher Aufforderung keine eine zeitliche Quantifizierung ermöglichende Darlegungen und Belege eingereicht worden. Jedenfalls eine Übersicht zum tatsächlichen Rechercheumfang müsste der Antragsteller aber bereits deshalb geführt haben, weil anderenfalls eine den rechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abrechnung genügende Angabe eines tatsächlich erbrachten Arbeitsaufwands gar nicht möglich gewesen wäre. Auf der Grundlage einer daher für eine ordnungsgemäße Abrechnung unabdingbaren Tätigkeitsübersicht hätte dann aber auch ohne unzumutbaren Aufwand eine quantitative Erläuterung der Zusammensetzung der für Recherche insgesamt abgerechneten 10 Stunden möglich sein müssen und damit auch eine etwaige anteilige Zuordnung hinsichtlich des anteilig auf die Datenbanksuche entfallenden Zeitaufwands. Für eine etwaige ungefähre Abrechnung eines im Einzelfall nicht belegbaren, aber nach eigener Einschätzung für angemessenen gehaltenen Aufwands beinhaltet das JVEG hingegen keine rechtliche Vergütungsgrundlage.

    (f) Soweit sich nach den ausgeführten Vorgaben ein insgesamt ermittelter vergütungsfähiger Zeitaufwand mit einer nicht vollständigen Abrechnungsstunde errechnet, wird diese gemäß § 8 Abs. 2 JVEG a. F. voll gerechnet, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war, sowie anderenfalls bei weniger als 30 Minuten mit der Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrags.

    d) Sonstige Aufwendungen des Gutachters sind gemäß § 8 Abs. 1 JVEG a. F. zu erstatten …

    e) Danach errechnet sich die Vergütung des Antragstellers für das von ihm erstattete Sachverständigengutachten zusammenfassend wie folgt:

  • Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten: 3 Stunden
  • Abfassung der Beurteilung (Ausarbeitung): 9,57 Stunden
  • Diktate und Durchsicht (Korrektur): 2,37 Stunden
  • Gesamt: 14,94 Stunden
  • Gerundet 15,00 Stunden
  • Sachverständigenhonorar (15 Stunden x EUR 100,00): EUR 1.500,00
  • Schreibauslagen (25.614 Anschläge x EUR 0,90 je 1.000): EUR 23,40
  • 30 Zweitschriften á EUR 0,50: EUR 15,00
  • Zwischensumme EUR 1.538,40
  • 19% Mehrwertsteuer: EUR 292,30
  • Zwischensumme EUR 1.830,70
  • Porto: EUR 10,00
  • Gesamtsumme: EUR 1.840,70.
  • Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG a. F.).

    Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG a. F.).

    Hinweis: Der angeführte Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 30.7.2019 - L 10 KO 1952/19 B - ist abgedruckt im MedSach 2020, 282 ff.

    Redaktionell überarbeitete Fassung eingereicht von P. Becker, Kassel