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Berufskrankheit Rotatorenmanschettenläsion (BK-Nr. 2117)

Am 14.09.2021 veröffentlichte der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine „Wissenschaftliche Begründung“ für eine neue Berufskrankheit „Läsion der Rotatorenmanschette der Schulter“. Danach sind verschiedene berufliche Belastungen des Schultergelenkes (Arbeiten mit den Händen auf Schulterhöhe oder darüber, Tätigkeiten mit hoher Repetition, hohe Kraftaufwendungen aus dem Schultergürtel und Hand-Arm-Schwingungen) als mögliche Einwirkungen für das Zustandekommen dieser Berufskrankheit benannt.

Am 01.04.2025 wurde dieses Krankheitsbild in die Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung als Nummer 2117 aufgenommen.

Eine wissenschaftlich fundierte und konsentierte Begutachtungsempfehlung gibt es bislang nicht. In der Wissenschaftlichen Begründung wird in Bezug auf mögliche Begutachtungen für die Definition des Krankheitsbildes lediglich der Hinweis auf die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC) gegeben. Hierbei handelt es sich jedoch ausschließlich um eine Therapieleitlinie, diese kann weder für die Definition des Krankheitsbildes, noch für die Definition eines belastungskonformes Schadensbild für eine Kausalitätsbeurteilung herangezogen werden.

Ebenso beruht die wissenschaftliche Begründung vorrangig auf dem Nachweis epidemiologischer Häufungen für die verschiedenen Belastungsarten ohne konkrete Aussage in Bezug auf die Wirkung der Rotatorenmanschette. Dies betrifft insbesondere die Nennung von Hand-Arm-Schwingungen, für die es keine biomechanisch begründbare pathophysiologische Plausibilität gibt. Diesbezüglich verweisen wir auf die Arbeit von Meyer-Clement et al. (MedSach, 2024) sowie Hartmann et al. (Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie, 2025). Die Schwingungsbelastung, ebenso wie die Repetition und die Kraftaufwendungen dürften dabei allenfalls Cofaktoren zum hauptsächlichen Risikofaktor Armhebung sein.

Zudem werden in der Wissenschaftlichen Begründung, konkurrierende Risikofaktoren, die für die Entstehung von Schäden an der Rotatorenmanschette bedeutsam sind, nicht diskutiert (oder benannt?) (siehe Spahn et al. MedSach, 2023).

Kritisch gesehen werden muss auch die Tatsache, dass in den der Wissenschaftlichen Begründung zugrunde liegenden Metaanalysen Arbeiten einbezogen wurden, welche sich per se nicht mit der primären Schädigung der Rotatorenmanschette befassten, sondern mit der „Volkskrankheit Schulter- Arm-Syndrom“ und solche unspezifischen Beschwerden mit einem Rotatorenmanschettenschaden von den Autoren der Wissenschaftlichen Begründung gleichgesetzt wurden.

Eine weiterer gravierende Kritikpunkt an der wissenschaftlichen Begründung ist der Umstand, dass keinerlei Hinweise gegeben werden, welche Einwirkungen welche Teile der Rotatorenmanschette besonders beanspruchen und damit gefährden. Biomechanische Schlussfolgerungen werden in der wissenschaftlichen Begründung diesbezüglich nicht gemacht.

Diese nicht unerheblichen Mängel der Wissenschaftlichen Begründung verlagern nunmehr mit Etablierung der neuen Berufskrankheit die Probleme auf den Gutachter und die Rechtsprechung. Vor diesem Hintergrund hat sich auf Initiative der einleitend genannten Fachgesellschaften eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe gegründet.

In diesem Themenheft soll zunächst Überblick über den aktuell-wissenschaftlichen Erkenntnisstand und die Grundlagen einer rechtlichen Bewertung für diese neue Berufskrankheit gegeben werden.

Wir hoffen, dieser vorläufige Überblick ist für Gutachter aber auch für die Verwaltungen und die Rechtsprechung insofern hilfreich. Dabei hoffen wir auf eine lebhafte, gern auch kontroverse Diskussion, um schließlich in absehbarer Zeit zu einer konsentierten Begutachtungsempfehlung zu gelangen.

Gunter Spahn

Michael Meyer-Clement