Insgesamt gingen beim KKH-Ermittlerteam bundesweit 479 neue Hinweise auf mögliches Fehlverhalten im Gesundheitswesen ein – von gefälschten Rezepten für teure Medikamente über den Missbrauch von Gesundheitskarten und abgerechnete Behandlungen, die frei erfunden sind, bis hin zu erschlichenen Krankengeldzahlungen. Mehr als die Hälfte der Delikte geht auf das Konto der ambulanten Pflege (270 Fälle). Damit führt dieser Gesundheitssektor wie in den Vorjahren die traurige Rankingliste betrügerischer Leistungserbringer mit großem Abstand an. Es folgen Physiotherapiepraxen mit 62 Fällen sowie Arztpraxen mit 21 Fällen; aber auch Apotheken sowie Krankenhäuser sind vertreten.
Allein 2022 und 2023 erreichten die Schäden zulasten der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung durch Abrechnungsbetrug mit mehr als 200 Millionen Euro einen neuen Höchststand. Hinzu kommt eine hohe Schadensdunkelziffer, die laut einer internationalen Studie bei 6,19 Prozent der jährlichen Gesundheitsausgaben und damit einer Schadenssumme von rund 18,5 Milliarden Euro allein in Deutschland liegt. „Diese illegal erschlichenen Gelder fehlen in der medizinischen und pflegerischen Versorgung der Versicherten und können sich daneben auch auf die Höhe der Kassenbeiträge auswirken“, berichtete Emil Penkov, Chefermittler bei der KKH.
Zu den häufigsten Delikten im Gesundheitswesen zählen die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen, sogenannte Luftleistungen, sowie das Abkassieren von Höchstsätzen für unqualifiziertes Personal. So steht ein Arzt im Verdacht, im zurückliegenden Jahr Operationen abgerechnet zu haben, die nie stattfanden. Und ein ambulanter Pflegedienst soll Pflegekurse für eine unrealistisch hohe Teilnehmerzahl geltend gemacht haben.
Mitunter treiben Betrüger ihre kriminellen Machenschaften in einem Bundesland und ziehen dann weiter in das nächste. Das erschwert es, Betrug, Korruption, Schmiergeldzahlungen oder Urkundenfälschungen aufzudecken. Penkov hält daher den länderübergreifenden Austausch der Stellen zur Fehlverhaltensbekämpfung der Krankenkassen untereinander und gemeinsam mit Kassenärztlichen Vereinigungen, speziellen Staatsanwaltschaften, Fachkommissariaten der Polizei und anderen Behörden für zentral: „Nur in eng vernetzter, professioneller Ermittlungsarbeit kann es gelingen, für Täter vor Gericht rechtskräftige Verurteilungen zu erwirken – auch zwecks Abschreckung. Spezialisierte Strafverfolgungsbehörden sollte es daher in allen 16 Bundesländern geben.“
Ein zukunftsweisendes Instrument sieht der Jurist Penkov in künstlicher Intelligenz (KI): „Es reicht nicht, wenn die Fehlverhaltensstellen der Krankenkassen quasi zu Fuß einzelnen Hinweisen auf Abrechnungsbetrug nachgehen. Wir müssen das Dunkelfeld proaktiv erhellen. KI-Algorithmen können Betrugsstrukturen und Fälle aus dem großen Pool an Abrechnungsdaten aller Kassen herausfiltern und zentral für alle Ermittler bereitstellen. Wir begrüßen, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit dieser technischen, kassenübergreifenden Unterstützung erkannt hat.“
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden