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Hohe Anforderungen an die Feststellung des Hirntodes

Die zweifelsfreie Klärung der Frage, wann ein Mensch hirntot ist, ist eine wesentliche Voraussetzung für die postmortale Organspende. Aber auch für die Beurteilung von Komapatienten ist die Hirntod-Diagnostik essenziell: Gibt es noch eine Chance auf ein Wiedererwachen, oder ist die Gehirnfunktion irreversibel verloren?

Diese Fragen, die den Grenzbereich zwischen Leben und Tod betreffen und somit hochsensibel sind, thematisierte die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) anlässlich der aktuellen Debatte um die Organspende auf der (virtuell abgehaltenen) 64. Jahrestagung der DGKN vom 10. bis 14. November 2020.

Die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls („Hirntod“) erfolgt in Deutschland gemäß Richtlinie der Bundesärztekammer, deren vierte Fortschreibung seit Juli 2015 gültig ist [1]. In Deutschland und vielen Ländern weltweit wird dazu der Nachweis des endgültigen, nicht umkehrbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns und des Stammhirns (und damit implizit auch des Kleinhirns) geführt.

Bei richtliniengemäßer Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ist medizinisch-naturwissenschaftlich (und juristisch) der Tod des Menschen eingetreten [1, 2]. Dies ist bei anthropologischer Betrachtung des Menschen als körperlich-seelische Einheit plausibel: Mit dem unumkehrbaren Ausfall der Gesamthirnfunktion ist zum einen die unabdingbare körperliche Voraussetzung für jede Regung und Wirklichkeit des Geistes verloren gegangen (Funktionen vor allem des Großhirns) und zum anderen die Integrationsfunktion des körperlich-organischen Ganzen (Funktionen vor allem des Stammhirns).

Nach aktuellen Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) waren es im Jahr 2019 hierzulande 932 Menschen, denen im Rahmen der postmortalen Organspende Organe für die Transplantation entnommen wurden. In all diesen Fällen wurde zuvor von mindestens zwei unabhängigen Ärzten der irreversible Hirnfunktionsausfall festgestellt.

„Neben dieser Doppelbefundung gelten in Deutschland weitere Qualitätsstandards, die im internationalen Vergleich besonders hoch sind“, betonte Uwe ­Walter, Vorsitzender der Hirntodkommission der DGKN und Stellvertretender Klinikdirektor der Universitätsklinik und Poliklinik für Neurologie in Rostock. So müssten alle an der Untersuchung beteiligten Ärzte Fachärzte sein und über mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von akuten schweren Hirnschädigungen verfügen. Mindestens einer der beurteilenden Mediziner muss zudem ein Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie oder Neuropädiatrie sein.

Auch der Ablauf der Hirntod-Diagnostik ist in der Richtlinie, die der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer (BÄK) bereits 1982 formuliert und seitdem mehrfach aktualisiert hat [1], detailliert geregelt:

  • In einem ersten Schritt soll demnach geklärt werden, ob überhaupt die Voraussetzungen für einen Hirntod vorliegen – das heißt, ob eine schwere Hirnschädigung durch Trauma, Infarkt, Blutung, Sauerstoffmangel oder andere Ursachen existiert.
  • Anschließend werden die klinischen Symptome des Hirnfunktionsausfalls überprüft, zu denen neben dem Koma auch das Fehlen verschiedener Reflexe, das Ausbleiben einer Reaktion auf bestimmte Schmerzreize sowie das Fehlen der Spontanatmung zählen.
  • In einem dritten Schritt muss geklärt werden, ob diese Ausfälle irreversibel sind. „Das kann entweder durch eine erneute Untersuchung nach einer vorgegebenen Zeitspanne geschehen oder durch eine zusätzliche Diagnostik, die mithilfe von Apparaten durchgeführt wird“, erklärte Walter.
  • Solche apparativen Verfahren kommen auch dann zum Einsatz, wenn einzelne klinische Symptome des Hirnfunktionsausfalls nicht überprüft werden können; bei Kindern unter zwei Jahren sowie bei bestimmten Formen der Hirnschädigung sind sie zwingend vorgeschrieben. Dazu zählt zuvorderst die Aufzeichnung eines Elektroenzephalogramms; dieses zeigt im Falle des Hirntodes keinerlei Aktivität. Zudem kann der Nachweis auch über das Fehlen jeglicher Hirndurchblutung geführt werden, beispielsweise mittels Dopplersonografie.

    „An diese apparativen Verfahren werden in Deutschland höchste Anforderungen gestellt, die von der DGKN regelmäßig überprüft und bei Bedarf aktualisiert werden“, sagte Walter. Dass die BÄK-Richtlinie im internationalen Vergleich sehr streng ist, zahle sich aus und mache die Hirntod-Diagnostik in Deutschland ausgesprochen sicher: „In den fast 40 Jahren seit Bestehen der Richtlinie ist bei konsequenter Anwendung noch keine einzige Fehldiagnose bekannt geworden“, stellte der DGKN-Experte fest.

    Literatur

    1 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer: Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Vierte Fortschreibung. Dtsch Ärztebl (2015); 112: A-1256

    2 Brandt SA, Angstwurm H; Arbeitsgruppe „Bedeutung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls als sicheres Todeszeichen“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer: Bedeutung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls als sicheres Todeszeichen. Dtsch Ärztebl (2018); 115: 675–681

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden