Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Häufig Übertherapie am Lebensende

Die Verantwortung für die zunehmende Überversorgung am Lebensende liegt auf mehreren Schultern: Besonders die Ärzteschaft steht unter hohem Druck – oftmals getrieben von Unsicherheiten, rechtlichen Bedenken oder der Angst, Vorwürfen ausgesetzt zu sein, nicht genug getan zu haben. Nicht selten mündet dies in eine sogenannte Defensivmedizin: Statt sich bewusst mit Patienten und Zugehörigen dem natürlichen Prozess des Sterbens zuzuwenden, werden nahezu alle therapeutischen Optionen ausgeschöpft. Dahinter steht weniger die Überzeugung, dass jede Intervention sinnvoll sei, sondern vielmehr das Bestreben, Aktivität zu zeigen und keinen Anschein von Untätigkeit zu erwecken.

Dabei ist bekannt, dass viele Menschen am Lebensende vor allem Symptomkontrolle, Nähe und Würde wünschen – nicht jede denkbare medizinische Maßnahme. Dennoch geraten diese Bedürfnisse häufig in den Hintergrund.

Ein entscheidender Motor dieser Entwicklung ist die gesellschaftliche Erwartungshaltung: Die moderne Medizin, insbesondere die Intensivmedizin, erscheint vielen als nahezu allmächtig. Es herrscht die Hoffnung, das Unvermeidliche – den Tod – doch noch durch „eine weitere Maßnahme“ hinausschieben zu können.  Dieses Denken wird verstärkt durch mediale Berichterstattung, eine leistungsorientierte Fachsprache und gesellschaftliche Narrative, die den Eindruck eines grenzenlosen Potenzials der Medizin erzeugen.

So entsteht ein Klima, in dem Patienten und Zugehörige oft maximale Interventionen erwarten – gerade auf Intensivstationen. Ärzte geraten dadurch zunehmend unter Zugzwang, jede verfügbare Behandlungsmöglichkeit auszuschöpfen, teils aus Angst vor juristischen Konsequenzen, teils aus Sorge, als „zu passiv“ zu gelten.

Diese Dynamik fördert eine defensivmedizinische Grundhaltung und trägt wesentlich zur Problematik der Überversorgung bei. Im Ergebnis verlieren die eigentlichen Bedürfnisse Sterbender – Wahrung von Würde, Autonomie und Lebensqualität – leicht an Gewicht, während technischer Aktivismus in den Vordergrund rückt.

 

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden