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Fragwürdige Leitlinien-Empfehlungen bei Gicht

Dass Behandlungsempfehlungen auch bei aktuellen Leitlinien durchaus problematisch sein können, führte Klaus Krüger vom Praxiszentrum St. Bonifatius in München auf dem 15. Allgemeinmedizin-Update-Seminar am 18. und 19. Juni 2021 (Livestream-Veranstaltung) aus:

Die Inhalte der 2019 veröffentlichten S2e-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) „Häufige Gichtanfälle und chronische Gicht“ (Prautzsch, 2019) erstaunen teilweise, so Krüger, weil sie entweder ohne Evidenz gegeben werden oder sogar den weltweiten Gicht-Leitlinien widersprechen.

Kongruent ist zwar die Empfehlung für Allopurinol als Harnsäuresenker der ersten Wahl, evidenzfrei allerdings die Begründung, dass Allopurinol „Überlegenheit im Nebenwirkungsprofil“ zeige. Im Gegenteil konnte in zahlreichen Studien, zuletzt auch in einer Metaanalyse (Fan et al, 2020), nicht nur eine etwas bessere Wirksamkeit von Febuxostat, sondern auch eine geringere Rate unerwünschter Ereignisse unter Febuxostat gezeigt werden.

Im Wesentlichen fußt die Vorrangigkeit von Allopurinol in den Leitlinien nämlich nicht auf besserer Wirksamkeit (hier ist das Gegenteil der Fall) und Verträglichkeit, sondern ausschließlich auf ökonomischer Basis, erklärte Krüger. Tatsächlich finde man unter Allopurinol – vor allem bei eingeschränkter Nierenfunktion – relativ viele Therapieversager bzw. die Notwendigkeit einer erhöhten Dosierung, die dann gelegentlich nicht vertragen werde.

Weitere Kritikpunkte an einzelnen Empfehlungen der S2e-Leitlinie:

  • Problematisch ist die Empfehlung, eine harnsäuresenkende Medikation noch nicht nach einem Gichtanfall und auch nicht bei weniger als 2 Anfällen jährlich durchzuführen: Diese ist nicht nur evidenzfrei, sondern auch fragwürdig, da jeder Gichtanfall zu Schäden im Gelenk führt und eine adäquate Therapie oft erst verzögert erfolgt.
  • Die Formulierung „Therapie zu erwägen“ als Empfehlung bei Patienten mit mindestens 2 jährlichen Gichtanfällen erscheint verfehlt; alle sonstigen Gicht-Leitlinien gehen hier von einer uneingeschränkten Empfehlung aus.
  • Veraltet und verfehlt ist die Empfehlung, eine harnsäuresenkende Therapie frühestens 14 Tage nach einem Gichtanfall zu beginnen: Bei solchem Vorgehen ist oft ein sofort folgender nächster Anfall die Folge. Tatsächlich ist klar gezeigt und auch leitliniengemäß, zeitgleich den Gichtanfall zu behandeln und die harnsäuresenkende Therapie zu beginnen.
  • Als weitgehend evidenzfrei und sonstigen Leitlinien widersprechend einzustufen ist schließlich die Empfehlung, eine harnsäuresenkende Therapie nach 5 Jahren effektiver Therapie zu beenden.
  • Somit entspricht diese Leitlinie in Teilen nicht dem aktuellen Stand des Wissens, widerspricht in einzelnen Punkten den meisten anderen Gicht-Leitlinien und sollte daher nicht als die für den Patienten bestmögliche Handlungsempfehlung angesehen werden, fasste Krüger seine Kritik zusammen.

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden

    Literatur

    1 Prautzsch, H., Engel, B. et al. (2019). S2e-Leitlinie Häufige Gichtanfälle und chronische Gicht. DEGAM-Leitlinie Nr 23a, AWMF-Register-Nr. 053-32a.
    https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-032al_S3_Haeufige-Gichtanfaelle-chronische-Gicht_2021-03.pdf

    2 Fan, B., Zhang, P. & Li, X. (2020). Efficacy and safety of Febuxostat versus Allopurinol in hyperuricemic patients with or without gout: A meta-analysis. Neuro Endokrinol Lett. 41, 195-204.