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A.Stevens1, 2, M.Steinhausen3

Besorgnis der Befangenheit von Sachverständigen: Prüfe das Gutachten, nicht den Sachverständigen

Zusammenfassung

Zu unterschiedlichen Zeitpunkten des gerichtlichen Verfahrens kann gegen einen Sachverständigen ein Antrag auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit gestellt werden. Dieser Aufsatz erörtert die gesetzlichen Regelungen, die prozessuale Stellung des Sachverständigen, die Neuropsychologie menschlicher Entscheidungen und die Rechtsprechung zur Besorgnis der Befangenheit.

Das Konstrukt „Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen“ erscheint bei kritischer Untersuchung entbehrlich. Da der Sachverständige einen Beitrag zur prozessualen Wahrheitsfindung leistet, muss das Produkt seiner Tätigkeit, sein Gutachten, hinsichtlich Methodik, Tatsachenfeststellungen und Schlussfolgerungen nach den Regeln der Epistemologie überprüft werden – nicht aber der Sachverständige als Person. Vermutungen über kognitive Verzerrungen durch eigene Interessen des Gutachters stellen allenfalls ein Randphänomen dar. Vielmehr dürften kognitive Verzerrungen grundsätzlich – bei allen menschlichen Leistungen und Entscheidungen - zu bedenken sein. Eine Betrachtung der Entscheidungen zu Befangenheitsanträgen erweist die Praxis als recht uneinheitlich.

Schlüsselwörter Besorgnis der Befangenheit – Sachverständige – ZPO § 406,1 – Theory of mind.

MedSach 118 6/2022: 244–255

Suspected partiality of medical experts:
Scrutinize the report, not the expert

Abstract

A motion to dismiss because of suspected partiality may be brought against an expert at various stages in legal proceedings. This paper discusses the legal provisions in Germany, the role of the expert in litigation, the neuropsychology of human decision-making and case law on the suspected partiality.

The concept of “suspected partiality of the expert” appears questionable under critical examination. Since the expert is making a contribution to the fact-finding of the court, it is the product of their activity, their report, that must be examined in respect of methodology, findings of facts and conclusions in accordance with the rules of epistemology – not the expert as a person. Suppositions of cognitive biases due to the expert’s own interests at any rate constitute a marginal phenomenon. Indeed, cognitive biases must in principle be expected anyway in all human performances and decisions. A consideration of the decisions on motions to dismiss for suspected partiality reveals that actual practice is very inconsistent.

Keywords suspected partiality – expert – ZPO 406 (1) – theory of mind

Anschrift für die Verfasser:

Prof.Dr.med. Andreas Stevens
Medizinisches Begutachtungsinstitut Tübingen
Doblerstr. 17
72074 Tübingen