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Konstitutionslehren traditioneller Medizinsysteme nicht belegt

Bei der Beschäftigung mit traditionellen Medizinsystemen darf man nicht übersehen, dass viele daran geknüpfte Lehren – insbesondere auch Konstitutionslehren – nicht belegt sind und womöglich bedeutungslos, überflüssig oder gar falsch sein können, erklärt Bernhard Uehleke von der Charité – Universitätsmedizin Berlin in der „Zeitschrift für Komplementärmedizin“ – zkm.

Eine Gemeinsamkeit vieler traditioneller Medizinsysteme bildet die Ableitung spezieller Konstitutionslehren aus dem jeweiligen Modell, so nach dem Konzept der 5-Elementen-Lehre in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) oder die Dosha-Lehre im indischen Ayurveda. Für keinen der entsprechenden Konstitutionsansätze gibt es jedoch in der internationalen Literatur überzeugende Belege einer Praxisrelevanz, obwohl diese zumindest an Beispielen einfach zu erbringen wären.

Eine Übernahme dieser Lehren unter Berufung auf eine jahrtausendelange ­Praxis ist nicht ausreichend, da die Wahrscheinlichkeit einer Falsifizierung von falschen und kontraproduktiven Annahmen in der praktischen Umsetzung von theorie- und modellgestützten Vorgehensweisen recht gering ist.

Während in der europäischen Medizingeschichte seit dem 17. Jahrhundert zunehmend Zweifel an der Richtigkeit der überlieferten, 2.000 Jahre alten Medizin nach der antiken 4-Säfte-Lehre geäußert wurden (die deswegen inzwischen seit rund drei Ärztegenerationen nicht mehr ausgeübt wird), fehlt ein solcher geschichtlicher Prozess anderen traditionellen Medizinsystemen. Weiter ist bei überlieferten Konzepten aus ganz anderen Zeiten, Welten und ethnischen Gruppen fraglich, ob bzw. wie man diese etwa auf Menschen der heutigen westlichen Zivilisation übertragen kann.

In der westlichen Wahrnehmung wird zudem meist völlig übersehen, dass sich diese traditionellen Medizinsysteme – im Gegensatz zur deutsch-europäischen Naturheilkundebewegung des 19. Jahrhunderts – weder auf sanfte Wirkungen noch auf eine besonders gute Verträglichkeit einschränken lassen. In asiatischen Religionen und Philosophien wird der Tod als Karma, Schicksal oder sogar Erlösung angesehen. Daher resultiert mitunter eine fatale Gleichgültigkeit gegenüber Risiken aller Art, auch und gerade bei medizinischen Behandlungen, warnt Uehleke.

Schließlich steht das große Interesse der deutschen Bevölkerung an fernöstlichen bzw. indischen traditionellen Medizinsystemen in eklatantem Widerspruch zur Situation in deren Herkunftsländern: Dort werden die althergebrachten Methoden eher als eine Medizin zweiter Klasse für die weniger finanzkräftige Bevölkerung gesehen.

(Uehleke B: Konstitutionslehren traditioneller Medizinsysteme. zkm 10 (2018) 6: 14–17)

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden