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„Empfehlung für die Begutachtung von Post COVID“ der DGUV

Aufgrund des zunehmenden Erfordernisses der Begutachtung von Post-COVID-Fällen hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) im Juni 2025 eine Begutachtungsempfehlung zu Post-COVID veröffentlicht, um damit eine einheitliche, wissenschaftlich fundierte und bundesweit vergleichbare Begutachtung im Rahmen der zugehörigen Berufskrankheiten- und Arbeitsunfall-Verfahren sicherzustellen.

Die Begutachtungsempfehlung richtet sich in erster Linie an medizinische Sachverständige, die beauftragt wurden, das Vorliegen einer Post-COVID-Symptomatik mit daraus resultierenden Gesundheitsstörungen zu prüfen, den ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit bzw. mit einem bereits anerkannten Versicherungsfall zu beurteilen und ggf. eine Empfehlung über die daraus erwachsende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) abzugeben. Die Empfehlung soll aber auch der Orientierung der mit den Feststellungsverfahren betrauten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern bei den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung dienen, soll versicherten Personen und ihren Bevollmächtigten die Entscheidungen der Unfallversicherungsträger transparent werden lassen und der Sozialgerichtsbarkeit die Prüfung der Gutachten erleichtern.

Die Empfehlung orientiert sich am aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und berücksichtigt den aktuellen Stand der Rechtsprechung. Bei Post-COVID handelt es sich um eine Syndromkonstellation, zu der fortlaufend weitere Forschung stattfindet und neue Erkenntnisse gewonnen und publiziert werden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sollen daher entsprechend bei der nächsten Überarbeitung der Begutachtungsempfehlung, die in 2 Jahren geplant ist, berücksichtigt werden.

Die Empfehlung basiert auf den „Allgemeinen Empfehlungen zur Begutachtung von Berufskrankheiten“ und den „Grundlagen der Begutachtung von Arbeitsunfällen“ der DGUV und orientiert sich an bestehenden AWMF-Leitlinien für die medizinische Begutachtung und zu COVID-19 und zu Post-COVID, um Objektivität, Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Begutachtungen sicherzustellen.

Entwickelt wurde die Empfehlung in einem interdisziplinären und fachübergreifenden Arbeitskreis, bestehend aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Institutionen aus dem medizinischen, psychologischen und juristischen Bereich, der DGUV sowie einer Betroffeneninitiative. Die Abstimmung der Empfehlung erfolgte im Rahmen mehrerer Sitzungen des Arbeitskreises, wobei die Ergebnisse in einer offenen Fachtagung im Dezember 2024 vorgestellt und dort dokumentierte Änderungsvorschläge teilweise eingearbeitet wurden.

Post-COVID wird als längerfristige Gesundheitsstörung mit Symptomen verstanden, die mindestens zwölf Wochen nach einer durchgemachten COVID-19-Infektion persistieren oder neu auftreten und die vielfältige körperliche wie psychische Einschränkungen aufweisen können. Insofern stellt Post-COVID kein eigenständiges Krankheitsbild dar, da die geklagten Beschwerden und Befunde nicht COVID-19 spezifisch sind, sondern in vergleichbarer Form auch bei anderen körperlichen und psychischen Erkrankungen auftreten können. Dies begründet die Notwendigkeit einer ausführlichen Differenzialdiagnostik.

Begutachtungen sollten im Regelfall multidisziplinär erfolgen, da häufig unterschiedliche medizinische Fachrichtungen, darunter meist Neurologie, Psychiatrie und Pulmologie, betroffen sind. Entsprechend werden im Regelfall symptomorientiert ein neurologisch-psychiatrisches oder ein internistisch/pulmologisches Hauptgutachten mit weiteren symptomabhängigen fachspezifischen Zusatzgutachten durchzuführen sein.

Explizit in der Empfehlung dargestellt wird unter gutachtlichen Aspekten die diagnostische Sicherung von Krankheitsbildern im neurologisch/neuropsychologischen, psychiatrischen, HNO-ärztlichen, pulmologischen, kardiologischen und dermatologischen Fachgebiet. Dabei ist insbesondere das Fatigue-Syndrom als das subjektiv am häufigsten im Rahmen von Post-COVID geklagte Beschwerdebild unter dem Aspekt der gutachtlichen Sicherung aufgeführt. Insgesamt handelt es sich jedoch nicht um eine vollständige Darstellung sämtlicher im Rahmen von Post-COVID möglicher Erkrankungen in allen medizinischen Fachgebieten, welche nach aktuellem Kenntnisstand unter anderem auch im Bereich der Endokrinologie oder der Nephrologie auftreten können.

Im Sinne einer Operationalisierung werden neben einer allgemeinen Darstellung von Anknüpfungstatsachen für den gutachtlichen Nachweis von Post-COVID insgesamt 18 konkrete fachspezifische Empfehlungen für die Beurteilung einzelner Krankheitsbilder mit
einer Aufstellung jeweiliger gutachtlich relevanter Anknüpfungstatsachen aufgeführt.

Neben allgemeinen Ausführungen zur nachvollziehbaren Bewertung fachspezifischer MdE-Werte, welche sich grundsätzlich auf existente Begutachtungsleitlinien beziehen, werden konkrete MdE-Abstufungen für einzelne spezielle Gesundheitsstörungen, wie z.B. das Fatigue-Syndrom oder kardiale Post-COVID-Syndrome vorgeschlagen. Aufgrund des häufig zu beobachtenden Decrescendo-Charakters der Post-COVID-Syndrome wird ggf. eine Nachbegutachtung nach ein bis zwei Jahren empfohlen.

Abschließend wird evidenzbasiert kurz auf einzelne häufige gutachtliche Fragestellungen zur Kostenübernahme von Hilfsmitteln und speziellen Therapiemaßnahmen im Rahmen der Post-COVID-Behandlung speziell für den Bereich des SGB VII eingegangen.

Die „Empfehlung für die Begutachtung von Post-COVID“ zeigt erstmals einen medikolegal breit konsentierten Rahmen auf, in dem Langzeitfolgen nach einer nachweisbaren, als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall anerkannten SARS-CoV-2-Infektion systematisch gutachtlich im Bereich des SGB VII geprüft werden können. Die Empfehlung ist im Internet frei verfügbar: (https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/5055).

Prof. Dr. M. Tegenthoff,
LWL-Universitätsklinikum,
Ruhr-Universität
Alexandrinenstr. 1 – 3, 44791 Bochum

Prof. Dr. Dr. B. Widder,
Neurowissenschaftliche Gutachtenstelle am Bezirkskrankenhaus Günzburg,
Lindenallee 2, 89312 Günzburg.