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BSG, Beschluss vom 20. Mai 2020 – B 13 R 49/19 B – Schlagwörter: Gutachter – Sachkunde – Facharzt-Ausbildung

Leitsatz:

Zur schlüssigen Darlegung der fehlenden Sachkunde eines Gutachters genügt es nicht, wenn lediglich auf das Fehlen einer entsprechenden Facharztausbildung verwiesen wird. Vielmehr müssen sich aus dem Gutachten selbst Zweifel an der Sachkunde des Gutachters ergeben oder es muss sich um besonders schwierige Fachfragen handeln, die ein spezielles Fachwissen erfordern.

Aus den Gründen:

(1–5) In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das Sächsische LSG mit Urteil vom 22.1.2019 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.

(6) 2. Die unabhängig vom Antrag auf Bewilligung von PKH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

(7) Der Kläger macht mit seiner umfangreichen Beschwerdebegründung vom 6.5.2019 ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf verschiedenen Verfahrensmängeln (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

(8) Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 – 1 RA 15/54 – BSGE 2, 81 – juris RdNr 4; BSG Urteil vom 24.10.1961 – 6 RKa 19/60 – BSGE 15, 169 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG – juris RdNr 29). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 – 3 RJ 219/56 – SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 – 11 BA 166/78 – SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 – B 4 RA 122/99 B – SozR 3-1500 § 160 Nr 33 – juris RdNr 23). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist …

(9) a) Den vorstehend dargestellten Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung zunächst nicht, soweit darin ein Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht gerügt wird, weil dieses kein (weiteres) pulmologisches Sachverständigengutachten eingeholt hat.

(10) Die Rüge der unzureichenden Sachaufklärung durch das LSG muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 – B 5a/5 R 382/06 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 28.2.2018 – B 13 R 73/16 B – juris RdNr 9 mwN).

(11) Es kann dahinstehen, ob der vom Kläger auf Seite 4 f der Beschwerdebegründung zitierte, in der mündlichen Verhandlung am 22.1.2019 gestellte Beweisantrag den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 403 ZPO genügt. Jedenfalls hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, dass das LSG verpflichtet gewesen sein könnte, ein weiteres Gutachten zu den Auswirkungen seiner Erkrankungen auf pulmologischem Fachgebiet auf sein Leistungsvermögen einzuholen. Insofern führt der Kläger selbst an, das LSG habe bereits durch ein fachinternistisch-pulmologisches Gutachten des Dr. A. vom 15.8.2018 Beweis zu den medizinischen Tatbestandsvoraussetzungen des § 43 SGB VI erhoben. Liegen jedoch bereits Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 – B 13 RJ 197/03 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 20.2.2018 – B 10 LW 3/17 B – juris RdNr 9). Solche Umstände hat der Kläger nicht schlüssig bezeichnet.

(12) Zur schlüssigen Darlegung der fehlenden Sachkunde des Gutachters genügt es nicht, wenn – wie vorliegend – lediglich auf das Fehlen einer pulmologischen Facharztausbildung verwiesen wird. Vielmehr müssen sich aus den Gutachten selbst Zweifel an der Sachkunde oder Unabhängigkeit des Gutachters ergeben oder es muss sich um besonders schwierige Fachfragen handeln, die ein spezielles, bei den bisherigen Gutachtern nicht vorausgesetztes Fachwissen erfordern (BVerwG Beschluss vom 11.6.2008 – 4 B 37/08 – juris RdNr 13). Solche Umstände hat der Kläger ebenso wenig aufgezeigt, wie grobe Mängel des Gutachtens vom 15.8.2018. Zwar verweist der Kläger in seiner Beschwerdebegründung unter Bezugnahme auf den beigefügten Schriftsatz vom 8.1.2019 darauf, dass im Rahmen der Begutachtung keine Bronchospasmolyse durchgeführt und kein sog Rampenprotokoll erstellt worden sei. Hierzu wird im Schriftsatz vom 8.1.2019 unter Hinweis auf das von der Deutschen Rentenversicherung herausgegebene Werk „Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung“ ausgeführt, dass verschiedene Lungenfunktions- und Leistungstests als einzelne Bausteine dazu beitragen könnten, das Ausmaß der Schädigung der Strukturen der Atmungsorgane und ihrer Funktion zu ermitteln; zusätzliche Aussagen könne ein Bronchospasmolysetest liefern. Zudem sei ein solcher Test ua beim Vorliegen einer COPD in jedem Fall zu empfehlen, um das Ausmaß der Reversibilität der Obstruktion zu ermitteln. Dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass belastbare Aussagen zur Leistungsfähigkeit eines Probanden nicht auch bereits aufgrund der zuvor angesprochenen Lungenfunktions- und Leistungstests sowie ohne die Feststellung der Reversibilität einer Obstruktion getroffen werden könnten und dass der Bronchospasmolysetest unabdingbar und in jedem Fall notwendig wäre. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das nicht erstellte Rampenprotokoll, zu dem der Kläger im Schriftsatz vom 8.1.2019 im Zusammenhang mit einem Gehtest angibt, ein solches Protokoll werde „in der Regel“ mit dem Ziel gewählt, in acht bis zwölf Minuten die maximale körperliche Leistungsgrenze zu erreichen. Zudem wird dort ausgeführt, der Gehtest sei bereits nach einer Minute beendet worden, was das Fehlen von Angaben zu höheren Belastungsstufen, wie es einem Rampenprotokoll entspräche, hinreichend erklären dürfte.

(13) Darüber hinaus wird mit der Beschwerdebegründung nicht hinreichend deutlich dargelegt, dass die Entscheidung des LSG auf der unterbliebenen Begutachtung beruhen könnte. Nach der im Rahmen der Prüfung von Verfahrensmängeln maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG lagen die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der beantragten Rente wegen Erwerbsminderung zuletzt am 31.7.2015 vor. Vor diesem Hintergrund wäre jedenfalls kurz darzulegen gewesen, inwiefern von einer weiteren (pulmologischen) Begutachtung einschließlich der Durchführung eines Bronchospasmolysetest und der Erstellung eines Rampenprotokolls im Jahr 2019 abweichende Erkenntnisse zum Leistungsvermögen des Klägers in der Zeit vor dem 1.8.2015 zu erwarten gewesen sind.

(14–30) b) Ein Verfahrensmangel wegen Verstoßes des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht wird ebenfalls nicht anforderungsgerecht bezeichnet …

Redaktionell überarbeitete Fassung,
eingereicht von P. Becker, Kassel