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AWMF: Mehr Transparenz gegen Korruption im Gesundheitswesen Neues Gesetz drängt Ärzte in die Grauzone

Die Paragraphen § 299a (Bestechlichkeit) und § 299b (Bestechung im Gesundheitswesen) des Entwurfes sollen bestehende Lücken im Strafrecht schließen. Ein Arzt macht sich nach dem neuen Gesetz strafbar, wenn er beispielsweise Zuweisungsprämien von Krankenhäusern oder Boni von Pharmafirmen für die Verordnung bestimmter Präparate annimmt. „Das Antikorruptionsgesetz umfasst jegliche, die wirtschaftliche Lage des Täters verbessernde Zuwendungen“, erläutert Professor Dr. iur. Michael Lindemann, Strafrechtler und Kriminologe an der Universität Bielefeld. In Verdacht stehen auch Anwendungsstudien für Medikamente, in die Ärzte ihre Patienten einbeziehen und dies dokumentieren. Für diesen Aufwand bekommen sie von Pharmafirmen ein – idealerweise angemessenes – Entgelt; strafbar können sie sich zukünftig machen, wenn die gezahlte Entschädigung den geleisteten Aufwand deutlich übersteigt. Der Jurist warnt: „Das Gesetz ist scharf und streng, Ärzte sollten es ernst nehmen.“

Bei Verstoß drohen Ärzten, Apothekern, Pflegekräften und Therapeuten Geldstrafen und bis zu drei Jahre Haft, in besonders schweren Fällen sogar fünf Jahre. Denn der Gesetzgeber schließt hier alle Heilberufe ein, die für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordern. „Dieser breit gefasste Täterkreis ist jedoch nicht zwingend notwendig, denn die bisher bekannten Beispiele stammen vor allem aus der Ärzteschaft“, wendet Lindemann ein. Kritisch sieht es der Jurist auch, dass die Konkretisierung der Berufsausübungspflichten, an die die Strafnorm anknüpft, durch die Landesärztekammern erfolgt. „Das führt zu unnötiger Rechtszersplitterung“, so Lindemann. So habe etwa Niedersachsen eine Regelung der Musterberufsordnung, nach der die Annahme von geldwerten Vorteilen in angemessener Höhe nicht als berufswidrig gilt, wenn sie ausschließlich für berufsbezogene Fortbildungen verwendet werden, nicht übernommen. „Bekommen wir dadurch ein Strafbarkeitsrisiko bei passiver Teilnahme niedersächsischer Ärzte an Fortbildungsveranstaltungen?“, fragt Lindemann. Vermeiden ließe sich dies, wenn sich das Gesetz auf bundesweit geltende heilberufliche Pflichten beschränken würde.

Das deutet auch an, welche Grauzone sich hier auftut, meint Professor Dr. med. Ina Kopp, Leiterin des Instituts für Wissenschaftliches Informationsmanagement der AWMF in Marburg: „Der Arzt kann in vielen Situationen kaum erkennen, wann er die Grenze zur Korruption überschreitet, sprich: wann er sich strafbar macht.“ Daher sei eine Nachbesserung des Gesetzestexts erforderlich. Sinnvoll wäre die Aufnahme eines ergänzenden Absatzes zur Klärung der Nichtanwendbarkeit des Gesetzes unter Berücksichtigung medizinisch und wissenschaftlich sinnvoller und auch sozialrechtlich im Sinne der bestmöglichen Versorgung von Patienten und der Forschungsförderung erwünschter Kooperationen. Da diese nicht statisch sondern bedarfsgerecht veränderlich sind, sei eine auf die nur schon jetzt durch das SGB V formulierten Umstände beschränkte Ausnahmeformulierung unzureichend, so Kopp. Zusätzlich sollte ein Absatz zur Klärung von Bereichen von zu nicht-schuldhaftem Verhalten aufgenommen werden, der Ärzte vom Korruptionsverdacht befreit, die im Rahmen der von der Selbstverwaltung formulierten Regelungen kooperieren. Den Gesetzgeber fordert Kopp auf, sich stärker in anderen, regelungsbedürftigen Bereichen zur Verbesserung von Transparenz und Unabhängigkeit zu engagieren – nämlich der Unterstützung industrie-unabhängiger klinischer Forschung und in der konsequenten Durchsetzung der öffentlich zugänglichen Registrierung aller klinischen Studien und ihrer Ergebnisse.
Die Experten des Arbeitskreises Ärzte und Juristen der AWMF sind sich einig, dass der neue Entwurf des Antikorruptionsgesetzes zwar differenzierter ist als der erste Referentenentwurf. Jedoch wird ohne die vorgeschlagenen Ergänzungen erheblicher Beratungsbedarf erzeugt, der zu erfüllen sein wird. Die These des Gesetzgebers, dass das neue Gesetz mit keinerlei Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger einhergeht, ist damit mehr als fraglich.

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V. bündelt die Interessen der medizinischen Wissenschaft und trägt sie verstärkt nach außen. Sie handelt dabei im Auftrag ihrer 168 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Gegründet 1962 mit dem Ziel, gemeinsame Interessen stärker gegenüber dem Staat und der ärztlichen Selbstverwaltung zu positionieren, erarbeitet die AWMF seitdem Empfehlungen und Resolutionen und vertritt diese im wissenschaftlichen und politischen Raum. Die AWMF ist Ansprechpartner für gesundheitspolitische Entscheidungsträger, wie den Gemeinsamen Bundesausschuss, und koordiniert die Entwicklung und Aktualisierung medizinisch wissenschaftlicher Leitlinien in Deutschland. Jede gemeinnützige Fachgesellschaft in Deutschland kann Mitglied werden, sofern sie sich wissenschaftlichen Fragen der Medizin widmet. Die AWMF finanziert sich vorwiegend durch die Beiträge ihrer Mitgliedsgesellschaften und Spenden.