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Mögliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die medizinische Sachverständigentätigkeit

Die medizinische Sachverständigentätigkeit wird in Deutschland ab Anfang März 2020 durch die zunehmende Verbreitung des Virus Sars-CoV-2 deutlich beeinträchtigt. Zu Begutachtende sagen Untersuchungs­termine aus berechtigter Sorge vor Ansteckung ab. Mitte März kamen die Unter­suchungen weitgehend zum Erliegen. Das Ministe­rium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen untersagte mit Weisung vom 23.3.2020 alle Untersuchungen durch ärztliche Dienste und Außengutachter. Die Medizinischen Dienste der gesetzlichen Krankenversicherungen hatten ihre Untersuchungen bereits zuvor eingestellt. Die Untersuchungen durch Institute für medizinische Begutachtungen sind zum Erliegen gekommen.

Im Gegensatz zu Hotels und gastronomischen Betrieben sind die Untersuchungen langsam ausgelaufen. Die nicht ausgeführten Aufträge können nach Aufhebung der Einschränkungen nachgeholt werden. Dennoch werden auch die Gutachter mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen rechnen müssen.

Wirkt sich die Pandemie auf Versicherungen und den künftigen Bedarf an Begutachtungen aus?

Eine genaue Prognose ist kaum möglich. Es dürften sich allerdings folgende Tendenzen abzeichnen:

Private und gesetzliche Krankentagegeldversicherung

Eine sehr starke Zunahme der Arbeitsunfähigkeitsfälle von Mitarbeitern der besonders betroffenen Branchen kann als gesichert gelten. Die Coronakrise dürfte sowohl die kurzfristige Arbeitsunfähigkeit (bis 12 Wochen) als auch die langfristige Arbeitsunfähigkeit (18 Monate in der GKV, bzw. bis zur „Feststellung der Berufsunfähigkeit“ in der privaten Krankentagegeldversicherung (dies entspricht der „Aussteuerung“) begünstigen.

Gesetzliche und private Krankenversicherung

Die Pandemie erhöht die Kosten für Akutbehandlung der Coronakranken, verringert dagegen die Ausgaben für geplante medizinische Behandlungen.

Die mit der Einstellung des Wirtschaftslebens verbundene Arbeitslosigkeit verschlechtert – zeitverzögert – die gesundheitliche Situation und die Lebenserwartung. Dies gilt sowohl für körper­liche als auch seelische Leiden. Damit steigen die langfristigen Gesundheitsausgaben tendenziell umso stärker, je länger die Kontaktsperre aufrechterhalten wird. Die Veränderung des Krankheitsspek­trums dürfte sich auf die gutachterliche Tätigkeit in den medizinischen Diensten der Krankenversicherung auswirken.

Gesetzliche Rentenversicherung

Erwartet werden kann eine Zunahme der Anträge auf Berentung zur Absicherung des Lebensunterhaltes. Überdurchschnittlich viele Anträge dürften aus den Branchen Tourismus, Flugverkehr, Hotellerie, Banken und Versicherungen kommen.

Private Berufsunfähigkeitsversicherungen

Zu prognostizieren ist eine erheblich steigende Zahl an Anträgen auf Berufsunfähigkeit. Begünstigt werden dürften die Anträge auf Berufsunfähigkeit durch die Koppelung der „Aussteuerung“ in der privaten Krankentagegeldversicherung (Feststellung der Berufsunfähigkeit im Sinne der KTV).

Möglicherweise erodiert die Coronakrise die Kalkulationsbasis der Versicherer. Die Feststellung der Berufsunfähigkeit ist medizinisch-wissenschaftlich nur in Grenzen möglich und obliegt häufig einem Aushandlungsprozess. Die zu erwartende Zunahme der Anträge dürfte pragmatische Verhandlungslösungen erschweren. Denkbar ist somit eine Zunahme gerichtlicher Auseinandersetzungen. Die meisten Neuanträge dürften auf Depressionen, Angststörungen, chronische Schmerzstörungen und funktionelle Leiden (z. B. unspezifische Rückenbeschwerden) entfallen. Bei langfristig ungünstiger Wirtschaftslage könnte die Coronakrise das „deutsche Modell“ der Berufsunfähigkeitsversicherung auf den Prüfstand stellen.

Private und gesetzliche Unfallversicherung

Mit der Reduzierung des gesellschaftlichen Verkehrs und der weitgehenden Einstellung der gewerblichen Tätigkeit, von Reisen und sportlichen Aktivitäten, sinkt die Zahl der Unfälle. Dies kann zeitversetzt zu einem begrenzten Rückgang der unfallchirurgischen Begutachtung führen.

Schwerbehindertenrecht

Wie bereits in der strukturellen Wirtschaftskrise ab ca. 1970 ist wieder mit einer deutlichen Zunahme der Anträge auf Feststellung einer Schwerbehinderteneigenschaft zu rechnen. Eine größere Rolle als die zu erwartende Zunahme der Morbidität dürfte der Wunsch, hierdurch Nachteilausgleiche zu erhalten, spielen.

Einfache und schwierige Gutachten

Die Coronakrise wird die Tendenz zur Regulierung von Personenschäden ohne persönliche Untersuchung und Begutachtung fördern. Hiervon werden Anbieter elektronischer Lösungen profitieren. Allerdings sind hierfür nur „glatte Verletzungen“ geeignet. Komplizierte Beeinträchtigungen, Polytraumen, Mischbilder zwischen körperlichen und seelischen Erkrankungen, Personen mit Komplikationen und „streitige Konfliktfälle“ werden weiterhin einer persönlichen Begutachtung durch Sachverständige bedürften.

K.-D. Thomann, Frankfurt am Main

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