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Zu den Beiträgen von Dresing et al „Diskussion der Referenzwerte für MdE und Gliedertaxe“ in den MedSach Ausgaben 5/21 sowie 1/22

Von mir persönlich sehr hoch geschätzte Experten der Begutachtung diskutieren gerade in dieser Zeitschrift über Referenzwerte bei der „Bemessung“ von Unfallfolgen in den verschiedenen Rechtsgebieten. Nach der Veröffentlichung der Referenzwerte zur MdE gab es Leserbriefe in der gleichen Ausgabe, in der die Referenzwerte zur Gliedertaxe dargestellt wurden. Es ist davon auszugehen, dass auch zu diesem Teil der Gedanken wiederum Leserbriefe erscheinen werden.

Das Ansinnen, uns Gutachtern für das Alltagsgeschäft solche Referenzwerte, die in einem Konsens entstanden sind, an die Hand zu geben, ist hoch löblich und überaus hilfreich.

Was zeigt uns aber diese Diskussion?

In der Begutachtung sprechen wir immer gerne von „Bemessungen“. Wir erstellen „Bemessungsgrundlagen“, die als Basis dafür dienen, wie wir entsprechende Gesundheitsschädigungen beurteilen. Dies geschieht u. a. auch durch juristische Anforderungen, eine „Bemessung“ der Schäden zur Verfügung zu stellen.

Können wir das?

Die Diskussion über die Referenzwerte zeigt, dass es eben keine „Bemessungsgrundlagen“ für die Darstellung von Körperschäden in den verschiedensten Rechtsgebieten gibt. Um dies zu verstehen, hilft auch ein Blick in den Duden. Hier finden wir zu dem Suchbegriff „bemessen“: starkes Verb, a) [nach Berechnung oder Schätzung] festlegen, b) nach etwas berechnet, festgelegt werden.

Dies zeigt doch – wir brauchen eine Berechnungsgrundlage. Die in dieser Zeitschrift geführte Diskussion führt uns aber vor Augen, dass genau diese Berechnungsgrundlage fehlt. Nur einmal die Frage: Was ist der allgemeine Arbeitsmarkt? Wie ist dieser definiert? Welche Grundlagen gibt es? Welche Grunddefinitionen liegen vor? Welche Anforderungen in Meter, Kilogramm, Steh- oder Sitzzeit etc. sind denn für den allgemeinen Arbeitsmarkt definiert? Oder ist denn der in der AUB festgelegte Extremitätenwert von 70 % für Arme und Beine korrekt und gerecht? Wiegt denn eine Störung der Mobilität genauso schwer wie die Störung der Greiffunktion für die Aktivitäten des allgemeinen Lebens? Gibt es denn hier nicht schon einen Bias in den Grundannahmen?

All dies zeigt, dass wir die Unfallfolgen nicht bemessen, sondern einschätzen. Einschätzen ist ein schwaches Verb, das 1. in bestimmter Weise beurteilt, wertet und 2. vorläufig durch eine Schätzung veranlagt (nach Duden). Und so ist es. In dem Gutachten wird der Körperschaden nicht bemessen sondern nur eingeschätzt, oder besser, dem Auftraggeber vorschlagen.

Ich bewundere sehr die Arbeit meiner wirklich sehr geschätzten Kollegen, die sich bemühen, uns Gutachtern solche Referenzwerte an die Hand zu geben. Wir sollten uns jedoch davor hüten, von „Bemessung“ zu sprechen. Wir haben keine Bemessungsgrundlage. Es gibt keine Messeinheit, kein Gewicht, keine exakt messbaren Bewertungsgrundlagen. Es gibt weder Scores noch Checklisten oder Definitionen, die eine wirkliche Bemessung der Unfallfolgen erlauben.

Vielleicht sollten wir uns doch alle mal zusammensetzen und überlegen, ob es uns gelingen kann, Bemessungsgrundlagen zu schaffen. Dies ist ein langer Weg. Dies bedeutet auch, dass man althergebrachte gutachterliche Gepflogenheiten eventuell verlassen muss. Aber bringt uns das denn dann nicht weiter? Wäre das denn nicht der Weg, unsere zu Begutachtenden wirklich gerecht zu bemessen?

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Jörg Schmidt
Ärztlicher Direktor
Institut für Rehabilitationsforschung und Personenschaden-Management
An-Institut an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
Warener Straße 1
12683 Berlin
joerg.schmidt@irp-mhb.de

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