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Medikamentennebenwirkungen kennen – erkennen – vermeiden

15. Allgemeinmedizin-Update-Seminar am 18./19.6.2021

Gravierende, evtl. sogar tödliche Nebenwirkungen z. T. auch häufig verordneter und als harmlos angesehener Medikamente sind ein wichtiges Thema in allen Gebieten der Medizin und durchaus auch von gutachtlicher Relevanz, v. a. in Arzthaftpflichtfällen. Aktuelle und teils überraschende Informationen dazu präsentierten mehrere Referenten auf dem 15. Allgemeinmedizin-Update-Seminar am 18. und 19. Juni 2021 (Livestream-Veranstaltung).

Hier einige kurze Zusammenfassungen zum Thema:

Rheumatiker zu oft unter dauer­hafter Glukokortikoid-Therapie

Der Anteil von Patienten mit rheumatoider Arthritis unter dauerhafter Therapie mit Glukokortikoiden ist zwar erfreulicherweise rückläufig, aber immer noch viel zu hoch, kritisierte Klaus Krüger vom Praxiszentrum St. Bonifatius in München. So ist die Osteoporose als Problem der dauerhaften Glukokortikoidtherapie bestens bekannt.

Die Annahme, dass Glukokortikoide über die Startphase hinaus zum Therapieerfolg beitragen, ist niemals durch eine Studie belegt worden. Die unterdessen in großer Zahl verfügbaren, hochwirksamen DMARD sollten auf Dauer in der Lage sein, zusätzliche Glukokortikoid­gabe entbehrlich zu machen.

Allerdings sind die Patienten bei Langzeitgabe von Glukokortikoiden (oft über Jahre hinweg) an diese Therapie gewöhnt, was das Absetzen erschwert. Dieses Problem entsteht nicht, wenn mit dem Einsatz dieser Präparate Leitlinien-entsprechend vorgegangen wird, so Krüger.

Es häufen sich zudem Daten, die auch bei Niedrigdosis auf Dauer schwerwiegende Probleme signalisieren. Diese treten allerdings subtil und schleichend auf: Ein Herzinfarkt bei einem Patienten unter dauerhafter Glukokortikoidgabe werde im Alltag oft nicht mit dieser Ursache in Zusammenhang gebracht.

Agranulozytose erst Tage nach Gabe von Metamizol: Aufklärung und Dokumentation erforderlich

Auch wenn Metamizol in vielen Fällen effektiv ist und keine Nebenwirkungen verursacht, muss auch das Risiko einer im späteren Verlauf auftretenden Agranulozytose berücksichtigt werden, warnte Heinrich Iro, Direktor der Hals-Nasen-Ohrenklinik, Kopf- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Erlangen. Während anaphylaktische Reaktionen umgehend nach der Applikation eintreten, entsteht die Agranulozytose bei Erstapplikation mit einer Latenz von einigen Tagen.

Bei stationär vorgenommenen Routine­eingriffen ist der Patient zu diesem Zeitpunkt in der Regel aber bereits aus dem Krankenhaus entlassen. Folglich ist zu empfehlen, im Entlassungsbrief die Gabe von Metamizol zu dokumentieren – dies gilt auch für den Fall, dass die Verabreichung nur intraoperativ im Verantwortungsbereich der Anästhesie erfolgte (Anästhesisten erstellen in der Regel keine eigenen Arztbriefe!).

Ferner ist die Zulassung von Metamizol zu berücksichtigen:

  • Akute Schmerzen nach Verletzung oder Operationen.
  • Sonstige akute oder chronische Schmerzen, wenn andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind.
  • Hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht.
  • Für die Situationen 2 und 3 muss also belegt werden, dass andere therapeutische Maßnahmen erwogen bzw. veranlasst wurden, erklärte Iro und betonte, dass Aufklärung und Dokumentation erforderlich seien.

    Vorsicht mit Antibiotika und PPI bei Tumorpatienten unter Immuntherapie

    Ärzte sollten mit Antibiotika und Protonenpumpeninhibitoren (PPI) bei Tumorpatienten, die eine Immuntherapie erhalten, besonders vorsichtig sein, die Indikation streng stellen und eine längerfristige Medikation kritisch hinterfragen, forderte Martin Trepel, Direktor der II. Medizinische Klinik Direktor und Direktor des Interdisziplinären Cancer Centers am Universitätsklinikum Augsburg.

    So zeigt eine aktuelle Studie von Chalabi et al. eindeutig: Zusätzliche PPI-Einnahme oder zusätzliche Antibiotikagabe verschlechterte die Wirksamkeit der Immuntherapie, während der Einfluss auf die Wirksamkeit der Chemotherapie nicht signifikant war. Die Sterblichkeit der immuntherapierten Patienten war um 32 % (Antibiotika) oder sogar 45 % (PPI) höher. Die Patienten überlebten mit Immuntherapie ohne Antibiotika und ohne PPI im Median ca. > 14 Monate, mit einem von beidem ca. 9 Monate.

    Dieser Effekt ist eigentlich nur über die Beeinflussung der (vor allem Darm-) Mikrobiom-Flora durch die Antibiotika oder die fehlende Magensäure erklärbar, kommentierte Trepel diese Ergebnisse. Es sei aus früheren Arbeiten bereits bekannt, dass die mikrobielle Flora in ihrer Komposition durchaus Einfluss auf Immunreaktionen im Körper haben könne (wobei die genauen Mechanismen hier z. T. nicht klar seien). Aber erstmals sei es an einem so klar charakterisierten Patientenkollektiv gezeigt worden, dass das unmittelbare praktische Relevanz habe.

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden

    Literatur

    1 Chalabi, M., Cardona, A., Nagarkar, D. R. et al. (2020). Efficacy of chemotherapy and atezolizumab in patients with non-small-cell lung cancer receiving antibiotics and proton pump inhibitors: Pooled post hoc analyses of the OAK and POPLAR trials. Ann Oncol., 4, 525-531.