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Krankenkasse muss Apherese-Therapie bei Patientin mit Long-COVID vorläufig erstatten

Das Sozialgericht (SG) Landshut verpflichtete im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine Krankenkasse dazu, für eine Versicherte mit einer Long-COVID-Erkrankung vorläufig die Kosten für eine ambulante Apherese-Therapie (Doppelfiltrationsplasmapherese mit Kosten von über 1.000 Euro wöchentlich) mit einer Frequenz von einer Therapiesitzung pro Woche zu übernehmen (Beschluss vom 19.6.2023, AZ: S 10 KR 150/23 ER).

Die Krankenkasse hatte die Kostenübernahme abgelehnt, da der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Leistung für das Krankheitsbild der Versicherte nicht in die vertragsärztliche Versorgung eingeschlossen habe. Dagegen hatte die Versicherte einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Landshut gestellt.

Dem Antrag beigefügt war ein fachärztlich internistisches Gutachten des behandelnden Arztes, Leitender Arzt der Nephrologie eines Klinikums. Dieser hatte ausgeführt, dass an die Versicherte einer schweren Form des Long- COVID-Syndroms mit invalidisierendem Krankheitsverlauf leide. Die mögliche Gehstrecke betrage wenige Meter. Eine Studie vom Dezember 2022 habe klar aufgezeigt, dass Long- COVID eine Erkrankung mit hohen Krankheits-assoziierten Mortalitätsraten sei. Der Behandler habe in seinem Gutachten zudem nachvollziehbar geschildert, dass sich gerade im Hinblick auf die Tachykardie ein lebensbedrohliches Szenario für die Antragstellerin ergeben könne.

§ 2 Abs. 1a SGB V sieht vor, dass Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht, so das Sozialgericht. Die Versicherte habe glaubhaft gemacht, dass eine Erkrankung vorliege, die zumindest wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung vergleichbar sei.

Eine Entscheidung in der Hauptsache sei derzeit noch nicht absehbar: Das Widerspruchsverfahren sei noch nicht abgeschlossen, auch habe die Krankenkasse den Medizinischen Dienst (MD) noch nicht mit einer sozialmedizinischen Prüfung befasst. Würde man die Versicherte also auf die Hauptsache verweisen, stehe zu befürchten, dass sie vor vollendete Tatsachen (massive Verschlechterung des Krankheitsverlaufs bis hin zum Tod) gestellt werde, bevor sie wirksamen Rechtsschutz in der Hauptsache erlangen könne. Die Gewährung vorläufiger Leistungen sei daher zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig.

 

Kommentar aus gutachtlicher Sicht

Dieser Beschluss ist unter verschiedenen Aspekten problematisch:

·       Ein behandelnder Arzt kann grundsätzlich nicht ein neutrales Gutachten über sein eigenes Therapiekonzept (hier mit Kosten von mehr als 1.000 Euro pro Woche) erstellen.

·       Die vom Gericht vorgenommene Gleichsetzung von Long-COVID mit „einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung“ erscheint ausgesprochen fragwürdig; darunter fallen in der Regel unheilbare maligne Erkrankungen.

·       Ob eine Plasmapherese-Behandlung bei Patienten mit Long-/Post-COVID tatsächlich effektiv ist, ist ausgesprochen fraglich. So lehnen sowohl die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) als auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) gegenwärtig Apherese-Ver­fahren bei Long-/Post-COVID außerhalb von klinischen Studien ab, da derzeit weder die Bedeutung der Antikörper noch die Wirksamkeit von Apherese-Verfahren in diesem Zusammenhang wissenschaftlich bewiesen sind.

Wie vom SG Landshut ausgeführt, sind hier eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes sowie die „Entscheidung in der Hauptsache“ abzuwarten.

https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/174149

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden