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Bedeutung der statistischen Überlebensrate für die Prognose der Berufsunfähigkeit

Wird bei einem Versicherungsnehmer in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung eine Krankheit mit einer generell geringen Überlebenswahrscheinlichkeit festgestellt, kann die statistische Überlebensrate für die Prognose der Berufsunfähigkeit wesentlich sein, erklärt das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe mit Beschluss vom 6.5.2020 (AZ: 9 U 54/18), über welchen die Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“ berichtet. Individuelle Fragestellungen können bei der Prognose ggf. zurücktreten, heißt es im ersten amtlichen Leitsatz zu diesem Beschluss weiter.

Zu beurteilen war der Fall eines (inzwischen verstorbenen) selbständigen Kfz-Meisters und Inhabers eines Kfz-Reparaturbetriebs, in dem Pkw, Lkw und Arbeitsmaschinen repariert wurden. Der Versicherungsnehmer war an einem Pankreaskarzinom erkrankt und daraufhin operiert sowie mit Chemotherapie nachbehandelt worden.

Die – retrospektive – Prognose einer dauerhaften Einschränkung der Berufsfähigkeit von mindestens 50 % beruht auf dem medizinischen Sachverständigengutachten. Der Gutachter hat darin schlüssig und nachvollziehbar die postoperativen körperlichen Einschränkungen geschildert, welche eine weitere Mitarbeit bei den Reparaturarbeiten in der Werkstatt überwiegend ausschlossen.

Die Prognose einer voraussichtlich dauerhaften Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit stand nach dem Gutachten aufgrund der Diagnose fest, da bei einem lokal fortgeschrittenen Pankreaskarzinom die Ein-Jahres-Überlebensrate nicht mehr als 20 % beträgt. Damit stand bereits nach der Operation fest, dass mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht mit einer Besserung des Gesundheitszustands zu rechnen war. Entscheidend war, so das OLG, dass zu diesem Zeitpunkt keine medizinischen Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass eine Besserung noch zu erwarten gewesen wäre.

Da es für Krankheitsverläufe und für die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einem Pankreaskarzinom nach dem Gutachten des Sachverständigen einen gesicherten Kenntnisstand in der medizinischen Wissenschaft gibt, hat die Prognose auf der Grundlage einer solchen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung eine deutlich bessere Grundlage als Berufsunfähigkeitsprognosen in vielen anderen Fällen, in denen solche statistischen Vergleichswerte fehlen, führt das OLG aus. Daher ziehe auch der Bundesgerichtshof (BGH) solche Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen für eine entsprechende Prognose heran, wenn die notwendigen Daten in der medizinischen Wissenschaft vorliegen.

Dass der Versicherte noch für eine längere Zeit auf eine Wiederherstellung seiner Gesundheit gehofft habe, ändere an der objektiven Grundlage der Prognose nichts, so die Karlsruher Richter.

(Versicherungsrecht 71 (2020) 20: 1301–1304)

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden