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Der Reha-Entlassungsbericht – ein neutrales ­sozialmedizinisches Gutachten?

Der ärztliche Reha-Entlassungsbericht ist von hoher Bedeutung, erklärt die Deutsche Rentenversicherung Bund im Vorwort zum aktualisierten „Leitfaden zum einheitlichen Entlassungsbericht in der medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung“ (Stand: August 2025):

„Er dient nicht nur der Informationsweitergabe und Vernetzung innerhalb des Sozialsystems, sondern auch der Qualitätssicherung und Dokumentation und ist – anders als andere ärztlichen Entlassungsberichte – als sozialmedizinisches Gutachten anzusehen. Da der Reha-Entlassungsbericht in sozialrechtlichen Feststellungsverfahren als Beweismittel gilt, z. B. in Bezug auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) oder eine Rente wegen Erwerbsminderung, sind eine klare Beschreibung des Umfangs der möglicherweise nach der Rehabilitation fortbestehenden Funktionseinschränkungen und deren Einfluss auf das Leistungsvermögen im Erwerbsleben von zentraler Bedeutung.“

Entsprechend heißt es auf S. 9 des Leitfadens: „Im Reha-Entlassungsbericht werden die festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Funktion im Alltag und im Berufsleben bewertet. Damit fungiert der Reha-Entlassungsbericht als ein sozialmedizinisches Gutachten.“ Dabei geben „gute Entlassungsberichte [...] klare Hinweise für die [...] berufliche Belastbarkeit“.

Zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung wird auf S. 30 erläutert: „Arbeitsunfähigkeit bei Abschluss der Leistung zur medizinischen Rehabilitation ist im rentenrechtlichen Sinn nicht gleichbedeutend mit einer Einschränkung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Letztere liegt nur dann vor, wenn die Minderung des Leistungsvermögens so gravierend ist und so lange andauert, dass eine Erwerbsminderung anzunehmen ist, also die Dezimierung des Leistungsvermögens mindestens 26 Wochen andauert.“

Kritische Anmerkungen

Aus eigener Erfahrung des Autors in der Aktenbegutachtung des beruflichen Leistungsvermögens für die privaten Berufsunfähigkeits- und die Krankentagegeldversicherung ist ein solcher Reha-Entlassungsbericht (so er denn vorliegt) von erheblichem Wert, liefert er in der Regel doch umfangreiche und präzise Angaben etwa zur konkreten beruflichen Tätigkeit, zur Anamnese, zum Befund bei Aufnahme und zum Verlauf unter der Rehabilitation.

Auffällig ist allerdings, dass die Prognose zur beruflichen Leistungsfähigkeit nicht selten zu „optimistisch“ erscheint. Beispielhaft sei hierzu aus einem aktuellen Gutachtenfall des Autors zitiert:

Eine 63 Jahre alte Personalsachbearbeiterin befand sich Anfang 2025 nach über 12 Monaten Arbeitsunfähigkeit für 4 Woche in einer stationären psychosomatisch-psychotherapeutischen Rehabilitation. Als Diagnosen wurden primär eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren genannt.

Bei Entlassung waren aus Sicht der Rehabilitandin die Therapieziele jedoch nicht erreicht, so der Reha-Bericht: „Sowohl psychisch als auch körperlich geht es ihr am Ende der Reha schlechter als zu Beginn der Reha.“ Auch aus Sicht der Behandler war „die Symptomatik ... am Ende der Reha gegenüber dem Beginn im Wesentlichen unverändert“; fortbestehend seien „eine klinisch relevante depressive Symptomatik sowie [eine] Schmerzstörung“.

Die Reha-Behandlung war somit offenbar im Wesentlichen erfolglos geblieben. Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung bei Entlassung ist jedoch ausgesprochen widersprüchlich:

  • Anfangs heißt es, die Versicherte sei „auf nicht absehbare Zeit [!] arbeitsunfähig entlassen“ worden wegen „nicht ausreichender Besserung der psychischen Symptomatik sowie der Schmerzsymptomatik“.
  • Gleich darauf wird aber behauptet, dass „für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Personalsachbearbeiterin [...] ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr pro Tag“ bestehe, da „das hier nach Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme erreichte Fähigkeitsprofil [...] mit den Anforderungen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit“ übereinstimme!
  • Eine Erklärung für diese diskrepanten Beurteilungen wird nicht gegeben.

    Dabei handelt es sich – nach den jahrelangen Erfahrungen des Autors – durchaus nicht um einen Einzelfall: Immer wieder fand er in Reha-Entlassungsberichten positive Einschätzungen der zukünftigen beruflichen Leistungsfähigkeit, die bei kritischer Beurteilung sehr fraglich schienen (und sich im weiteren Verlauf denn auch nicht erfüllten).

    Sollte hier ein „systematischer Fehler“ vorliegen? Plausibel erscheint folgende Hypothese:

    Aufgabe einer Reha-Klinik ist ja in erster Linie, (über längere Zeit bestehende) Arbeitsunfähigkeit möglichst rasch zu beenden und Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit zu verhindern, was ja im legitimen finanziellen Interesse des Reha-Trägers liegt. Sollte das in einer relevanten Anzahl von Fällen aber nicht gelingen, könnte sich der Träger der entsprechenden Reha-Klinik die Frage stellen, ob diese denn ihren Auftrag wie gewünscht erfüllt oder ob sie – falls nein – zu teuer im Betrieb, ggf. sogar überflüssig ist.

    Somit dürfte es aus Sicht der behandelnden Reha-Klinik-Ärzte durchaus erstrebenswert sein, möglichst positive Leistungsbeurteilungen abzugeben, somit die eigene Effizienz zu belegen und damit auch – in letzter Konsequenz – den eigenen Arbeitsplatz zu sichern.

    Ein solcher Interessenkonflikt würde aber den grundsätzlichen Anforderungen an ein neutrales Gutachten massiv widersprechen!

    Literatur

    Deutsche Rentenversicherung Bund: Leitfaden zum einheitlichen Entlassungsbericht in der medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung. Stand 1.8.2025
    https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Expe…

    Interessenskonflikt: Gutachtenerstellung, Beratungs- und Vortragstätigkeit für Unternehmen der privaten Krankenversicherung, Lebensversicherung und Praxisausfallversicherung.

    Anschrift des Verfassers

    Dr. med. Gerd-Marko Ostendorf
    ehem. Gesellschaftsarzt der R+V Versicherung, Wiesbaden
    c/o Alfons W. Gentner Verlag
    Postfach: 101742
    70015 Stuttgart