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A. Berndt

Der Täter-Opfer-Ausgleich: Ein heilsamer Impuls – auch für Opfer von Straftaten?

Zusammenfassung

Der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) hat sich in der deutschen Strafrechtspraxis als feste Größe etabliert, wobei die Betonung mehr auf „fest“ denn auf „Größe“ liegt. Es gibt eine Vielzahl von Einrichtungen, die den TOA bundesweit anbieten, und mittlerweile ist er an mehreren Stellen im Gesetz verankert (§ 46a StGB und § 155 a und b StPO): Jedes Jahr werden mehrere tausend Verfahren mediiert. Andererseits werden in Deutschland ca. fünf Millionen Ermittlungsverfahren pro Jahr durchgeführt, für die bei fast allen Delikten prinzipiell ein TOA in Betracht käme. Angesichts dieses Umstands erscheint die Anzahl der mediierten Verfahren doch sehr gering. Der TOA wird weiterhin von vielen Personen im Strafrecht als Fremdkörper erlebt und gemieden, sodass er als Marginalie in der Strafrechtspflege gelten muss. Dies ist aus mehreren Gründen jedoch nicht überzeugend. Der TOA wird regelmäßig für alle Beteiligten als Win-Win-Situation beschrieben, von der Täter, Opfer und die Strafjustiz profitieren können.

Im deutschsprachigen Raum gibt es einige empirische Studien, die sich mit der Wirkung des TOA auf den Täter beschäftigen und hierbei positive Effekte validieren (u. a. Verbesserung der Legalprognose). Es gibt jedoch keine Untersuchungen, die sich mit der Wirkung auf das Opfer befassen, sodass die von der Verfasserin mit Unterstützung des Weißen Rings e.V. durchgeführte bundesweite Studie [4] eine erste Forschungslücke schließen kann.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Opfer von Straftaten, die freiwillig an einem TOA teilnahmen – im Vergleich zu Opfern, die Verhandlungen beiwohnten –, in unterschiedlichen Bereichen von der Intervention deutlich stärker profitierten: so zum Beispiel im Bereich des emotionalen Erlebens, der Zufriedenheit, der Bedürfnisbefriedigung und der Motivstruktur (Reduzierung von Vermeidungs- und Erhöhung von Annäherungszielen).

Schlüsselwörter Strafrecht – Täter-Opfer-Ausgleich – § 46a StGB – Viktimologie – Wiedergutmachung – Konsistenztheorie

Victim-offender mediation: a healing impulse – for ­victims of crime too?

Abstract

Victim-offender mediation (VOM, “Täter-Opfer-Ausgleich”) has become well established in the practical administration of German law. A variety of public institutions offer VOM nationwide, and it is now enshrined in several laws (§ 46a StGB (German criminal code), § 155 a and b StPO (German code of criminal procedure)). Every year, several thousand judicial processes are mediated. However, this figure is rather small considering that five million criminal investigations are carried out annually in Germany. VOM could potentially be applied in most criminal offences, but it continues to be perceived as foreign by many people in criminal law and is often therefore avoided. This is not convincing for several reasons. VOM is regularly described as a win-win situation for all involved stakeholders that can be beneficial for offenders, victims and the criminal justice system.

Several empirical studies from German-speaking countries have assessed the effects of VOM on offenders and have validated its positive effects (including decreased recidivism). However, there have been no studies so far that have examined the impact on the victim. The nationwide study carried out by the author with the support of “Weisse Ring e.V.” [4] fills a gap in the research.

The results of this study demonstrate that victims of offences who voluntarily participated in VOM benefited in different areas significantly more from the intervention than victims who participated in judicial trials. Among these are positive effects on emotional experience, contentment, satisfaction of needs and motive structure (reduction of avoidance and increase of approach goals).

Keywords criminal law – victim-offender mediation – § 46a StGB – victimology – reconciliation – consistency theory

Anschrift der Verfasserin

Dr. phil. Dipl.-Psych. Andrea F. Berndt

Klinikum am Weissenhof

Zentrum für Psychiatrie Weinsberg

74189 Weinsberg

MedSach 115 5/2019: 210–220