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Zum Beitrag von Dette S, Banse R, Ivankova, L, Rettenberger M, Schmidt AF, Schumacher-Wandersleb W, Schwarz M, Goldbeck F: Die Novellierung des § 63 StGB und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Begutachtungspraxis. MedSach 116 (2020), 2: 73–75

Der Artikel greift ein für die adäquate Behandlung und Versorgung der Patientenschaft sowie für die Praxis der Gerichte hochrelevantes Thema auf, dessen Grundtenor ich unbedingt teile. Dennoch lohnt es sich vielleicht, einige Aspekte noch einmal klarer herauszuarbeiten, um etwaige Verunsicherungen bei den beauftragenden Stellen gar nicht erst entstehen zu lassen, wenn im konkreten Fall die Frage aufkommt, ob ein Fall nicht auch von einem Psychologen bearbeitet werden kann oder darf oder – bei bereits erstattetem Gutachten – ob ein Fall hätte von einem Psychologen bearbeitet werden dürfen oder nicht.

So schreiben die Autoren, Psychologische Psychotherapeuten (PP) seien „laut Psychotherapeutengesetz (PsychThG) […] durch [ihre] Approbation“ Fachärzten gleichgestellt. Hierzu sei erläutert, dass im PsychThG selbst an keiner Stelle eine Relation zu Fachärzten gezogen wird und eine Approbation ist nicht facharztspezifisch, deshalb ist diese Herleitung daraus allein nicht möglich. Sie ist aber auch nicht ganz falsch, denn richtig ist, dass Psychologen mit Erlangung der Approbation als PP auf Grundlage dieses Gesetzes berufliche Befugnisse erhalten, die Fachärzte auch haben, nämlich die „Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist“.

Der Passus im Nebensatz veranlasst allerdings seit Verabschiedung dieses Gesetzes immer wieder Kritiker dazu, beispielsweise daraus abzuleiten, dass Psychotherapeuten keine Psychosen, Manien und organisch bedingte psychische Störungen diagnostizieren und erst recht nicht behandeln könnten. Dahinter steht dann ein inzwischen wissenschaftlich nicht mehr haltbares Verständnis von rein biologisch determinierten psychiatrischen Störungsbildern, bei denen etwas platt gesagt „Reden nichts bringt“, weil ein „Schaden an der Hardware“ vorliegt. Vielmehr gibt es jedoch für psychotische Störungen, hirnorganische Störungen und diverse andere früher als „klassisch psychiatrisch“ bezeichnete Erkrankungen Psychotherapieprogramme und reichlich Psychotherapeuten, die diese Patienten damit täglich behandeln, sodass der Berufsgruppe hier auch eine entsprechende Fachkunde nach dem PsychThG zugesprochen werden kann. Zwar bringt in manchen Fällen in der Tat Reden allein nichts und wäre auch für sich keine adäquate Behandlung, aber ebenso verhält es sich bei anderen Fällen wiederum mit einer somatischen Behandlung ohne eine zusätzliche psychotherapeutische Begleitung. Hieraus würde entsprechend aber auch niemand ableiten, dass ein Psychiater oder Neurologe ohne psychotherapeutische Ausbildung keine Fachkunde zur Bearbeitung seines Aufgabengebiets bei diesen Störungen hätte.

Wichtig ist jedoch die Einschränkung im PsychThG, dass im Falle einer psychotherapeutischen Behandlung eine „somatische Abklärung“ zu erfolgen hat. Mit dieser „Abklärung“ ist gemeint, dass eine etwaige somatische (Mit-)Bedingung der psychischen Auffälligkeit/Störung festgestellt oder ausgeschlossen werden soll. Zum einen ist nun erst mal die Frage, ob eine Begutachtung gleichzusetzen ist mit einer Behandlung und ob dieser Vorbehalt im PsychThG dann überhaupt für die Sachverständigentätigkeit gelten würde. Diese Zweifel werden zumindest gestützt durch die aktualisierte Psychotherapierichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), nach der „Psychotherapie nicht gleich Psychotherapie“ ist: Bei einer Akutbehandlung muss kein ärztliches Konsil eingeholt werden, bei einer längerfristigen Behandlung dann jedoch schon.

Davon abgesehen heißt jedenfalls diese Einschränkung nicht, dass PP folglich nur entweder psychische Störungen bei somatisch vollkommen Gesunden diagnostizieren können oder dass beim gleichzeitigen Vorliegen einer Angststörung und beispielsweise eines Fußpilzes automatisch ein dermatologisches Zusatzgutachten erfolgen muss. Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die oben genannten organisch (mit-)bedingten psychischen Störungen, sodass beispielsweise die Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms eben nur zum Teil durch einen PP zu stellen ist: Das Psychosyndrom kann er feststellen mit allen differenzierten (neuro-)psychologischen Beeinträchtigungen und Symptomen, doch die Feststellung der Schädigung der ursächlichen Hirnorganik verbleibt natürlich beim Neurologen oder Psychiater.

Bei der Gruppe dieser organischen psychischen Störungen handelt es sich also um den wesentlichen Punkt, in dem folgerichtig keine „Gleichstellung“ der Berufsgruppen erfolgt, die aber unbedingt bei dem im Artikel bearbeiteten Thema erwähnenswert ist, da in der Schweiz eben diese fachliche „Ungleichheit“ dazu geführt hat, dass höchstrichterlich entschieden wurde, dass Psychologen nicht mehr als Sachverständige in vielen forensischen Fragestellungen tätig sein dürfen, sondern ausschließlich Fachärzte. Nun ist die Schweiz ein anderes Land und es gibt dort auch keine approbierten Psychologischen Psychotherapeuten, dennoch ist dieses Thema durchaus noch detaillierter beleuchtenswert, weil es nicht nur im deutschen Strafprozess, sondern auch in anderen Rechtsgebieten regelmäßig dazu führt, dass an der Eignung des psychologischen Gutachters Zweifel gemeldet werden, wenn diese Differenzierung nicht en detail ausgeführt wird.

Deshalb empfehle ich sehr die Lektüre der konkreten Auseinandersetzung mit dem gutachtlichen Prozess, die -bemerkenswerterweise- vier Fachärzte als Reaktion auf diesen juristischen „Paukenschlag“ in der Schweiz begonnen haben (Habermeyer et al. [1]) und darin zu dem Schluss kommen, dass das Schweizer Urteil bzw. weitere daran anknüpfende Urteile, die ebenfalls die Kompetenzen von Psychologen in Strafprozessen einschränken bis aufheben, aus ihrer fachlichen Sicht nicht nachzuvollziehen sind. Für mich ist die wesentliche Aussage, dass Psychologen wie auch Psychiater wie auch alle anderen Sachverständigen ihre Kompetenzgrenzen beachten und ggf. Zusatzgutachten anfordern müssen und eben nicht den Fußpilz ohne dermatologische Kompetenz selbst mitbewerten, sollte er denn überhaupt relevant sein. Dies stützt noch einmal klar die These der hiesigen Autoren, ebenso wie die auch bei Habermeyer et al. [1] erwähnte Praxis in Deutschland, dass in einigen Bundesländern alternativ zu Chefärzten Psychologische Psychotherapeuten forensische Einrichtungen oder Abteilungen leiten, wenn die Maßregelvollzugsgesetze der Länder dies zulassen, so z. B. die MRVG in NRW, Rheinland-Pfalz und Bayern (dort „in besonderen Fällen“), was in noch einmal verdeutlicht, dass zumindest in Teilen des Landes das eigenständige forensische Arbeiten dieser Berufsgruppe zugetraut wird.

Literatur

1 Habermeyer E, Graf M, Noll Th, Urbaniok F: Psychologen als Gutachter in Strafverfahren. Wie weiter nach dem Bundesgerichtsurteil BGer 6B_884/2014 vom 8. April 2O15? Aktuelle Juristische Praxis (AJP)/Pratique Juridique Actuelle (PJA) (2016), 2: 127-134.

Anschrift des Verfassers

Dipl.-Psych. Felix Aßhauer
Psychologischer Psychotherapeut
Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll
Abt. Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen
Langenhorner Chaussee 560
22419 Hamburg

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