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Vorheriges Gutachten einer medizinischen Schlichtungsstelle im Arzthaftungsprozess nicht ausreichend

Im Arzthaftungsprozess kann ein bereits vorliegendes Gutachten einer medizinischen Schlichtungsstelle zwar im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden. Dies führt aber weder zu einer Erhöhung der Darlegungslast des Patienten noch ist das Schlichtungsstellengutachten geeignet, den Sachverständigenbeweis zu ersetzen, erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 12.3.2019 (AZ: VI ZR 278/18), über welchen die Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“ berichtet.

Auch wenn der Sachverständige des (vorangegangenen) Schlichtungsverfahrens vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der zuständigen Ärztekammer zu dem Ergebnis gelangt war, dass ein Behandlungsfehler nicht vorliege, kann das Instanzgericht die Klage auf einen Behandlungsfehler nicht allein unter Berufung auf dieses Gutachten abweisen mit der Begründung, ein etwaiger Behandlungsfehler sei vom Patienten nicht substanziiert dargetan, kritisierte der BGH.

Der Senat verwies hierzu auf seine gefestigte Rechtsprechung: Demnach sind an die Substantiierungspflichten des Patienten (bzw. bei dessen Tod der Angehörigen) im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen zu stellen. Die Patientenseite darf sich auf den Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlerseite aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet.

Mit der eingeschränkten primären Darlegungslast des Patienten geht – zur Gewährleistung prozessualer „Waffengleichheit“ zwischen den Parteien – regelmäßig eine gesteigerte Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung einher, bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, soweit der Patient darauf angewiesen ist, dass der Sachverhalt dadurch aufbereitet wird.

Das gilt auch, wenn dem Gericht ein medizinisches Gutachten aus einem vorangegangenen Verfahren einer ärztlichen Schlichtungsstelle vorliegt. Dies kann zwar im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden; es führt jedoch nicht zu einer Erhöhung der Darlegungslast des Patienten, der ansonsten gezwungen wäre, sich medizinisches Fachwissen anzueignen, um einen schlüssigen Klagevortrag zu halten.

Mangels gerichtlicher oder staatsanwaltlicher Veranlassung kann ein solches Gutachten einer ärztlichen Schlichtungsstelle zudem (gemäß § 411a Zivilprozessordnung) nicht als Sachverständigengutachten vom Gericht verwertet werden. Ob die in dem Schlichtungsgutachten enthaltene Einschätzung inhaltlich richtig ist, unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung.

Der Tatrichter muss daher in einem solchen Fall einen Sachverständigen hinzuziehen und eine schriftliche oder mündliche Begutachtung anordnen, erklärten die Karlsruher Richter. Der vom Gericht zu beauftragende Sachverständige müsse sich – ebenso wie das Instanzgericht selbst – auf Beweisebene mit der Einschätzung des Schlichtungsgutachtens auseinandersetzen.

(Versicherungsrecht (2019) 70, 22: 1450-1451)

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden