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BSG, Beschluss vom 27.1.2021 – B 13 R 119/19 B Schlagwörter: Gutachten nach § 109 SGG, Anzahl, Einholung mehrerer Gutachten, Mängel, Widersprüche, Unsachlichkeiten

Leitsätze:

1. Das Wort „ein“ in § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG ist kein Zahlwort, sondern ein unbestimmter Artikel; gleichwohl besteht ein Anspruch auf Anhörung mehrerer Ärzte nur, wenn für ein solches Verlangen besondere Umstände vorliegen.

2. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben.

Aus den Gründen:

I. Mit Urteil vom 19.3.2019 hat das Sächsische LSG einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt …

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. …

a) Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr …). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 4.7.2019 nicht gerecht.

Der Kläger formuliert darin die Frage, „ob § 109 SGG als zahlenmäßige Beschränkung zu verstehen ist oder ob § 109 SGG so zu verstehen ist, das die zahlenmäßige Beschränkung sich nur auf ein medizinisches Fachgebiet beschränkt“.

Der Kläger legt aber jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht in der gebotenen Weise dar, sodass der Senat dahinstehen lässt, ob der entscheidungserhebliche Sachverhalt genügend dargestellt wird (zu dieser Anforderung zuletzt etwa BSG vom 8.4.2020 – B 13 R 3/20 B – juris RdNr. 6 mwN). Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 – 13 BJ 207/92…).

Das BSG hat bereits in einer Vielzahl von Fällen zu Inhalt und Grenzen des Antragsrechts nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG entschieden und zB befunden, dass das Wort „ein“ in der Vorschrift kein Zahlwort, sondern ein unbestimmter Artikel sei; gleichwohl bestehe ein Anspruch auf Anhörung mehrerer Ärzte nur, wenn für ein solches Verlangen besondere Umstände vorliegen würden (BSG Beschluss vom 29.11.1957 – 2 RU 241/56 – SozR Nr. 14 zu § 109 SGG; vgl auch BSG Urteil vom 22.6.1977 – 10 RV 67/76 - SozR 1500 § 109 Nr. 1 - juris RdNr. 23). Dem Kläger hätte es daher oblegen näher darzulegen, dass und warum sich die aufgeworfene Rechtsfrage nach seinem Dafürhalten nicht anhand der vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidungen zu § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG beantworten lasse.

b) Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel wird nicht in der nach § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B …)

Der Kläger rügt, das LSG habe gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 103 Abs. 1 Halbsatz 1 SGG) verstoßen, indem es einem in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens auf orthopädischem Fachgebiet nicht gefolgt sei.

Nach dem Vorbringen des Klägers sind im gerichtlichen Verfahren von Amts wegen zwei Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sowie ein Sachverständigengutachten durch einen Pneumologen eingeholt worden. Das zeitlich letzte Gutachten ist offensichtlich dasjenige vom 25.8.2018 durch den Sachverständigen F., einen Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Dieser hat nach der Mitteilung des Klägers ua die Diagnosen „Lumbago: Schmerzhaftigkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule, durch Abnutzungserscheinungen bedingt“ sowie „Zervikobrachialgie: Schmerzhaftigkeit im Bereich der Halswirbelsäule, durch Abnutzungserscheinungen bedingt“ gestellt. Das Gesamtvorbringen des Klägers legt zudem nahe, dass der Sachverständige F. das Leistungsvermögen des Klägers für leidensgerechte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in zeitlicher Hinsicht nicht relevant eingeschränkt hält und dass das LSG dieser Einschätzung gefolgt ist.

Der Kläger hat indes nicht substantiiert dargelegt, warum sich das LSG angesichts der geschilderten Sachlage zur weiteren Ermittlung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens auf orthopädischem Fachgebiet hätte gedrängt fühlen müssen. Liegen wie hier bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG Urteil vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B – BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 3 RdNr. 9 mwN; BSG Beschluss vom 20.2.2018 – B 10 LW 3/17 B - juris RdNr. 9 mwN). Derartige Umstände hat der Kläger nicht substantiiert dargetan. Er hat insbesondere nicht aufgezeigt, dass die vorliegenden Gutachten von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgegangen seien, weil sich sein Gesundheitszustand nach letztmaliger Begutachtung und vor dem Ende der mündlichen Verhandlung vor dem LSG in relevanter Weise verändert habe. Er nimmt zwar auf verschiedene Arztbriefe und medizinische Unterlagen Bezug, die im Zusammenhang mit der Diagnose und teilweise auch operativen Behandlung seiner Bandscheibenvorfälle erstellt worden sind, und betont, er habe auch insoweit sämtliche Behandler gegenüber dem LSG angegeben. Die zeitlich letzte der angeführten Unterlagen datiert indes vom 24.6.2016 (Bericht der Tagesklinik M.). Der Kläger deutet nicht einmal an, dass eine Beiziehung dieser Unterlagen im gerichtlichen Verfahren unterblieben sei und diese daher insbesondere dem Sachverständigen F. bei seiner zwei Jahre später vorgenommenen gutachterlichen Würdigung der Befunde nicht vorgelegen haben könnten. Ebenso wenig hat der Kläger Umstände schlüssig dargetan, die Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen F. begründen könnten. Sein pauschales Vorbringen, diesem habe als Neurologen die erforderliche Sachkunde zur angemessenen Würdigung der aufgrund der Bandscheibenvorfälle verbliebenen Funktionseinschränkungen gefehlt, reicht vorliegend nicht aus.

Redaktionell überarbeitete Fassung
eingereicht von P. Becker, Kassel