Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
B. Voges

Begutachtung der Parasomnien- Non-REM – Parasomnien

Zusammenfassung

Handlungsautomatismen im Schlaf (Parasomnien) sind häufig: 67 % aller Erwachsenen berichten über Schlafsprechen, 22 % über Schlafwandeln (davon 20 % mit schwerwiegenden Verletzungen) und 7 % über schlafassoziierte sexuelle Handlungsautomatismen. Die Ursache dafür liegt in der Neigung des menschlichen Gehirns zum „dissoziierten“ Erwachen: Entwicklungsgeschichtlich früh entstandene Teile des Gehirns (wie z. B. das Limbische System, auf dem instinktive Handlungsschablonen abgespeichert sind) wachen auf, während andere, spät gebildete Hirnareale (z. B. der obere Frontallappen) im Tiefschlaf verbleiben und somit ihre Kontrollfunktion über das menschliche Handeln nicht ausüben können. Hieraus können komplexe bewusstseinsferne Verhaltensweisen entstehen, mit Potential für Schädigungen von „Täter“ oder Bettpartner – mit möglicherweise resultierendem Bedarf an juristischen und gutachterlichen Abwägungen zwischen unbewusstem Handeln mit Schuldunfähigkeit einerseits oder Willkürtat mit nachgeschobener Schutzbehauptung. Für eine tatverursachende Parasomnie (PS) sprechen: Vorbestehende Neigung zu Schlafwandeln, Tat im Rahmen von PS-fördernden Umständen, Tatvollzug am Bettpartner, Amnesie für das Ereignis, Erschrecken nach der Tat, eigeninitiative Versuche, um Tatwiederholungen zu verhindern. Argumente für Schutzbehauptung sind: tatvorbereitende Maßnahmen, Erinnerung an das Ereignis, Tatleugnung oder Schuldverlagerung auf das Opfer. Untersuchungen im Schlaflabor sind hilfreich, um die Neigung des Täters zu PS zu objektivieren; sie können aber weder mit Sicherheit beweisen, noch ausschließen, dass die in Rede stehende Tat im Rahmen einer solchen durchgeführt wurde. Wird in der Summe der Betrachtungen das Vorliegen einer PS als plausibel erachtet und somit Schuldunfähigkeit für diese Tat angenommen, so entgeht der Täter einer Bestrafung. Er kann aber verpflichtet werden, nun dafür Sorge zu tragen, dass zukünftige Bett -/ Wohnungspartner nicht durch weitere parasomnische Taten überrascht und geschädigt werden.

Schlüsselwörter Parasomnie – Schlafwandeln – Vergewaltigung – schlafassoziierte Gewaltforensisches Gutachten – Schuldfähigkeit

MedSach 119 6/2023: 253–260

Legal and forensic evaluation of parasomnias: NREM parasomnias

Abstract

Automatic behaviour in sleep (parasomnia) is frequent: 67 % of adults report talking in their sleep, 22 % sleepwalking (20 % of these cases resulting in serious injury) and 7 % sleep-associated automatic sexual acts. The reason lies in the propensity of the human brain to produce dissociated arousal, which is when phylogenetically early parts of the brain (e.g. the limbic system, on which instinctive action templates are stored) wake up, while other phylogenetically late parts (e.g. the upper frontal lobe) remain asleep and so are unable to exercise their control function over human actions. This can result in complex, unconscious behaviours, with the potential for harm to the “offender” or bed partners – possibly with a resulting need for legal considerations and forensic differentiation between unconscious action without criminal responsibility on the one hand and an arbitrary act with subsequent attempt to defend the behaviour on the other. Arguments in favour of parasomnia as causal include a preexisting tendency to sleepwalk, action in the context of circumstances encouraging parasomnia, where the victim is the bed partner, amnesia about the event, fright and shame after the act and own attempts to prevent repeated offences. Arguments for attempts to defend behaviour include preparatory measures, recollection of the event, denial of the act or attribution of blame to the victim. Examinations in the sleep laboratory are helpful in order to objectify the perpetrator’s tendency to parasomnia. However, they cannot prove or rule out with any certainty that the act in question was committed in the context of parasomnia. If, taking all aspects into account, the existence of parasomnia as causal is considered plausible and thus the perpetrator is assumed not to have criminal responsibility, the perpetrator escapes punishment. However, they can be obliged to take measures to ensure that future bed/home partners will not be surprised and harmed by further parasomnic acts.

Keywords parasomnia – sleepwalking – rape – sleep-associated violence – forensic evaluation – criminal responsibility

Anschrift des Verfassers

Dr. med. Berthold Voges
Epilepsiezentrum Hamburg
Evangelisches Krankenhaus Alsterdorf
Elisabeth-Flügge-Str.1
22337 Hamburg,
Mail: b.voges@alsterdorf.de