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Beurteilung der Normalhörigkeit

Die audiometrische Nulllinie, der Punkt des leisesten von einem Menschen erkannten Tons, ist keine definierte physikalische Größe, sondern eine mit der psychoakustischen Methode des Tonaudiogramms festgelegte Bezugsgröße der Normalhörigkeit, deren Verlassen („cut-off“ im Bereich von 15–25 dB) den Beginn eines Hörverlustes anzeigt. Diese Bezugsgröße hat sich in dem abgelaufenen Jahrhundert mehrmals geändert, sie ist abhängig von Alter, Geschlecht und auch Ethnie des Untersuchten, und stellt daher immer nur einen Mittelwert dar. Muss aus welchen Gründen auch immer ältere Literatur hierzu für eine Begutachtung herangezogen werden, so sei dies zu beachten, wie Michel in seinen Ausführungen in der „HNO“ erläutert.

Zunächst wurde ganz offensichtlich vorausgesetzt, dass das Gehör eines Jugendlichen ein Normalgehör repräsentiert. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dann erstmal in den USA eine Feldstudie an 18- bis 30-jährigen durchgeführt, deren Ergebnisse bis 1969 dort Grundlage für die Kalibrierung von Audiometern war. Die nach 1945 in Europa erstellte audiometrische Nulllinie, unter standardisierten Bedingungen im Labor durchführt, lag hingegen 10 dB unter dieser US-Vorgabe.

Erst seit 1964 seien Studien erstellt worden, die hinsichtlich der audiometrischen Prüfmethoden und Gerätschaften vergleichbare Ergebnisse und damit eine im Wesentlichen einheitliche Definition der Hörschwelle gebracht hätten. Auch hierbei sei aber zu beachten, dass aufgrund anderer methodischer Schwächen in einzelnen US-Studien bis 1969 ein Vergleich nur mit einem Korrekturfaktor von 6 bis 14 dB HL möglich sei. Erst die Norm ISO 7029:2000 beschreibe allein die berechnete statistische Verteilung (5- bis 95-Perzentile) einer altersbegleitenden Hörschwellenveränderung zwischen dem 18. und dem 70. Lebensjahr. Sie ist damit für die gutachtliche Anwendung geeignet.

Die Beobachtung, dass ältere Menschen höhere Töne schlechter wahrnehmen, stammt schon aus dem 19. Jahrhundert. Aus ISO 7029:2000 lässt sich das Nachlassen des Hörvermögens jenseits des 60. Lebensjahres heute entsprechend ablesen. Die bis zum im Normalfall der Beendigung des Erwerbslebens im 65. Lebensjahr zu erwartenden Hörverluste werden bei MdE-Schätzungen in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht berücksichtigt. Ab dem 70. Lebensjahr, etwa bei einer weiteren Lärmexposition eines Selbstständigen oder in der privaten Unfallversicherung, sind diese altersbegleitenden Hörverluste aber durchaus von Bedeutung und als Vorschaden bei der gutachtlichen Bewertung auch zu berücksichtigen. Die schon länger bekannten Tabellen nach Spoor und Schmidt, wenn auch prinzipiell von der ISO 7029:2000 abgelöst, geben hierzu immer noch einen Anhalt für den Gutachter zu diesem altersbegleitenden Hörverlust.

(Michel O: Die Beurteilung der Normalhörigkeit in der Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Begutachtung. HNO (2014), 5: 382–384

E. Losch, Frankfurt/Main