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Eine Bestandsaufnahme

Eignungsbeurteilung im Betrieb

Positionierung von Eignungs­untersuchungen im Spektrum betriebsärztlicher Aufgaben

Ärztinnen und Ärzten, deren Fokus im Studium und meist auch in der fachärztlichen Qualifizierung überwiegend kurativ ausgerichtet ist und deren berufliches Selbstverständnis sich aus der klassischen Arzt-Patienten-Beziehung ableitet, sind Intention und Wortlaut des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG, s. „Weitere Infos“) in Erinnerung zu rufen, wenn das eigene Handeln als Betriebsärztin oder Betriebsarzt generell und die Handhabung von Eignungsuntersuchungen speziell zu verorten sind. Nach dem Gesetz haben Betriebsärztinnen und Betriebsärzte „den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen.“ § 3 des ASiG, der Betriebsärztinnen und Betriebsärzten Aufgaben zuordnet, die insbesondere (also nicht ausschließlich) wahrzunehmen sind, stellt als Instrument und Schwerpunkt betriebsärztlichen Handelns sehr deutlich die Beratung heraus. Untersuchungen, und somit auch Eignungsuntersuchungen, spielen keine dominante Rolle im Kanon der § 3-Aufgaben. Der dortige Passus „... die Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten ...“ sollte daher nicht als Einladung zur Durchführung formal kritischer und inhaltlich zweifelhafter Routineuntersuchungen verstanden werden.

Die Beratung als demnach zentrale Komponente betriebsärztlichen Handelns kann sich mindestens bei strittigen oder kritischen Themen in einem betriebswirtschaftlich denkenden und agierenden Umfeld nicht darauf beschränken, Anliegen und Themen des Gesundheitsschutzes fachlich aufzuzeigen, sondern ist auf engagiertes Vortragen, Persistieren und Überzeugen angewiesen. Im Setting Betrieb sowie im Umgang mit Führungskräften und Mitgliedern des Betriebsrats sollten sich Betriebsärztinnen und Betriebsärzte der Sprache und der Gepflogenheiten ihres betrieblichen Umfelds anpassen, wenn sie Gehör finden wollen und ihre Anliegen durchsetzen wollen.

In diesem Sinne ist Expertenrat auch zu regulatorischen Neuerungen, sich ändernden Standards, zum Stand des Wissens und zu geübter Praxis aktiv und engagiert darzulegen, so auch zu einer sich fortentwickelnden fachlichen Sicht auf Eignungsuntersuchungen. Dies mag umso mühsamer sein, je mehr ein Unternehmen „Medizinisches“ traditionell und in Verkennung der eigenen unternehmerischen Verantwortung im Arbeitsschutz den Betriebsärztinnen und Betriebsärzten zuweist und damit auch die Eignungsfeststellung als ausschließlich betriebsärztliche Angelegenheit betrachtet.

Grundvoraussetzung für eine angemessene Beratung ist allerdings, dass Betriebsärztinnen und Betriebsärzte Änderungen und Entwicklungen im Gesundheitsschutz zunächst selbst akzeptieren und umsetzen. Sie sollten sich aufgrund ihrer arbeitsmedizinischen Fachkunde bewusst sein, im Setting Arbeitswelt und Arbeitsschutz in einem ausgeprägt regulatorischen Rahmen zu agieren. Sie haben insofern zu realisieren, dass betrieblicher Gesundheitsschutz neben medizinischen Perspektiven zahlreichen formalen, organisatorischen und rechtlichen Vorgaben unterworfen ist. Demzufolge ist es nicht ins Belieben von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten gestellt, rechtliche Normen und fachjuristische Stellungnahmen zu Eignungsuntersuchungen in Frage zu stellen, weil die rein medizinische Perspektive vermeintlich zu einer abweichenden Sichtweise führen würde.

Rechtliche und formale Aspekte von individuellen Eignungsunter­suchungen

Eignungsuntersuchungen sind denkbar, wenn eine beschäftigte Person, die Zweifel an ihrer eigenen gesundheitlichen Leistungsfähigkeit und Eignung für eine bestimmte Tätigkeit hat oder in Eigenini­tiative betriebsärztlichen Rat sucht. Möglicherweise sind dabei auch bereits vorliegende Atteste behandelnder Ärztinnen und Ärzte zu berücksichtigen. Im Laufe der Beratung muss sich ergeben, ob eine klinische Untersuchung geboten ist, die gegebenenfalls mit Einverständnis der betroffenen Person erfolgen kann. Sollte als Ergebnis der Eignungsbeurteilung neben oder statt einer Arbeitsplatzanpassung eine betriebsärztliche Bescheinigung zu Leistungsmerkmalen der beschäftigten Person geboten sein, ist diese der Person auszuhändigen oder darf anderenfalls nur mit deren ausdrücklichem Einverständnis an den Betrieb weitergeleitet werden.

Eignungsuntersuchungen sind auch sinnvoll und statthaft, wenn die Initiative vom Unternehmen ausgeht, weil dieses im Individualfall konkrete, begründete Zweifel an der Eignung der beschäftigten Person hat und in Verantwortung für den Arbeitsschutz im Betrieb der Fürsorgepflicht nachkommen muss. Es ist durchaus vorstellbar, dass das Unternehmen die beschäftigte Person bis zum Vorliegen einer betriebsärztlichen Beurteilung sogar von deren Tätigkeit freistellt. Die DGUV Vorschrift 1 (s. „Weitere Infos“) bestimmt dazu: „Der Unternehmer darf Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen.“

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (s. „Weitere Infos“) steckt für die Indikation arbeitgeberseitig veranlasster Eignungsuntersuchungen einen klaren Rahmen ab: „Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Eignungsuntersuchungen vonseiten des Arbeitgebers im bestehenden Beschäftigungsverhältnis verlangt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der fortdauernden Eignung des oder der Beschäftigten begründen.“ Tatsächliche Zweifel könnten beispielsweise durch beobachtete Unterzuckerungen, Krampfanfälle oder auch eine Alkoholfahne aufkommen, jedoch keinesfalls durch allgemeine Unzufriedenheit mit der Arbeitsqualität von Beschäftigten. In der Praxis bewährt es sich, den Anlass für eine Eignungsbeurteilung in einen klar umrissenen und sachlich begründeten Untersuchungsauftrag einzubringen und das Vorgehen zuvor mit der betroffenen Person zu besprechen. Damit wird das Unternehmen sein Untersuchungsbegehren selbstkritisch reflektieren und wird es nur bei sehr konkreten Eignungszweifeln umsetzen. Den Beschäftigten gegenüber wird Transparenz hergestellt und es wird mit und nicht über sie gesprochen. Der Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt ermöglichen eine offene Kommunikation und eine schriftliche Untersuchungsanforderung, sowohl das Vertrauensverhältnis zur Patientin/zum Patienten trotz einer möglicherweise kritischen Fragestellung aufrecht zu erhalten als auch die gezielte Eignungsfrage des Unternehmens spezifisch zu beantworten. Wenn verhältnispräventive Maßnahmen den Eignungskriterien der Beschäftigten nicht hinreichend gerecht werden, wird die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt nach Beratung mit der betroffenen Person und unter Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber dem Betrieb eine möglichst differenzierte, schriftliche Eignungsbeurteilung abgeben.

Rechtliche und formale Aspekte von kollektiven Eignungsuntersuchungen

Gegenstand oft kontroverser Diskussionen sind Eignungsuntersuchungen im laufenden Beschäftigungsverhältnis, die bei Ausübung bestimmter Tätigkeiten routinemäßig für alle Mitarbeitenden vorgesehen sind und sich nicht auf individuell bestehende Zweifel an der Eignung einzelner Personen stützen.

Als unproblematisch sind diese Unter­suchungen zu beurteilen, wenn sie auf einer Rechtsnorm beruhen. Beispielsweise verpflichtet die Druckluftverordnung (s. „Weitere Infos“) in § 10 den Arbeitgebenden ausdrücklich zur Veranlassung von Eignungsuntersuchungen: „(1) Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer in Druckluft nur beschäftigen, wenn der Arbeitnehmer 1. vor der ersten Beschäftigung, 2. vor Ablauf von einem Jahr seit der letzten Untersuchung von einem nach § 13 ermächtigten Arzt oder einer nach § 13 ermächtigten Ärztin untersucht worden ist und eine von diesem Arzt oder dieser Ärztin ausgestellte Bescheinigung darüber vorliegt, dass keine gesundheitlichen Bedenken gegen die Beschäftigung oder Weiterbeschäftigung bestehen. …“ Vergleichbar formuliert die Strahlenschutzverordnung (s. „Weitere Infos“) in § 77(1): „Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass eine beruflich exponierte Person der Kategorie A nur dann Aufgaben wahrnimmt, für die die Einstufung in diese Kategorie erforderlich ist, wenn sie innerhalb eines Jahres vor der erstmaligen Aufgabenwahrnehmung von einem nach § 175 Absatz 1 Satz 1 ermächtigten Arzt untersucht worden ist und dem Strahlenschutzverantwortlichen eine von diesem Arzt ausgestellte Bescheinigung vorliegt, nach der der Aufgabenwahrnehmung keine gesundheitlichen Bedenken entgegenstehen.“

Eine unstrittige Rechtsgrundlage für kollektive Eignungsuntersuchungen stellt auch die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV, s. „Weitere Infos“) dar, die eine Fahrerlaubnis für definierte Führerscheinklassen an ein „Zeugnis oder Gutachten über die körperliche und geistige Eignung“ bindet. Im Gegensatz dazu stellen die DGUV Grundsätze für arbeitsmedizinische Untersuchungen (2014) und insbesondere hier der Grundsatz 25 (Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten) lediglich ein Angebot an Betriebsärztinnen und Betriebsärzte dar, darin aufgelistete Untersuchungen nach einem definierten diagnostischen Schema durchzuführen und so über betriebliche Grenzen hinweg eine einheitliche Systematik und Vergleichbarkeit der Untersuchungen zu fördern. Der berufsgenossenschaftliche G25 stellt keine eigenständige Indikation zu verpflichtenden, kollektiven Eignungsuntersuchungen dar. Es wäre auch nicht ohne weiteres ersichtlich, warum für betriebliche Fahrtätigkeiten, beispielsweise PKW-Fahrten im Außendienst, strengere Auflagen gelten sollten als im
öffentlichen Straßenverkehr durch die FeV. Im Übrigen wäre es generell auch bei Beachtung dieser Rechtslage sinnvoll, im betrieblichen Sprachgebrauch von der historisch verwurzelten und entsprechend beliebten Bezeichnung „G xy-Untersuchung“ abzusehen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS, s. „Weitere Infos“) sieht auch in Unfallverhütungsvorschriften keine rechtliche Basis für die Durchführung von Eignungsuntersuchungen. Wenn die DGUV Vorschrift 68 (Unfallverhütungsvorschrift Flurförderzeuge, s. „Weitere Infos“) in § 7 den Auftrag zum Steuern von Flurförderzeugen unter anderem daran koppelt, dass die beauftragten Personen „für diese Tätigkeit geeignet und ausgebildet sind …“, ist dies demnach nicht als Auftrag zu routinemäßigen Eignungsuntersuchungen zu verstehen. § 7 der DGUV Vorschrift 1 verpflichtet Unternehmen, „bei der Übertragung von Aufgaben auf Versicherte [...] je nach Art der Tätigkeiten zu berücksichtigen, ob die Versicherten befähigt sind, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Aufgabenerfüllung zu beachtenden Bestimmungen und Maßnahmen einzuhalten. …“. Aus dieser Bestimmung kann ebenfalls keine Rechtsgrundlage für anlassfreie, kollektive Eignungsuntersuchungen abgeleitet
werden.

Die Gefährdungsbeurteilung wird in § 5 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG, s. „Weitere Infos“) definiert: „Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.“ Damit werden unter der Perspektive der Prävention die Arbeitsbedingungen und nicht die gesundheitliche Eignung derer betrachtet, die diesen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Der Zweck der Gefährdungsermittlung, Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ergreifen, zielt genauso wenig auf die gesundheitliche Eignung der beschäftigten Person. Auch die unter § 5 (3) 5. genannte unzureichende Qualifikation und Unterweisung der/des Beschäftigten ist als Arbeitsschutzdefizit und damit als mit der Arbeit verbundene Gefährdung zu verstehen. Das BMAS stellt fest: „Die Gefährdungsbeurteilung ist arbeitsplatz- bzw. tätigkeitsbezogen und grundsätzlich unabhängig von der dort tätigen Person durchzuführen. Eignungsuntersuchungen sind keine aus der Gefährdungsbeurteilung ableitbaren Arbeitsschutzmaßnahmen.“

Eine Betriebsvereinbarung zu Eignungsuntersuchungen hat sich an den gegebenen rechtlichen Rahmen zu halten und kann sie nur entsprechend restriktiv im Betrieb implementieren. Es stellt keinesfalls eine Option dar, mit Hilfe einer Betriebsvereinbarung eine nichtexistierende Rechtsbasis innerbetrieblich zu kompensieren. Zudem wäre eine Betriebsvereinbarung auch grundsätzlich problematisch, wenn sie den Beschäftigten im Falle von Eignungseinschränkungen zum Nachteil gereichen würde, etwa durch den Verlust ihrer bisherigen Tätigkeit.

Angesichts dieser Einordnung fühlen sich manche Betriebe sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte veranlasst, kollektive Eignungsuntersuchungen in der Betriebsvereinbarung nur auf freiwilliger Basis festzuschreiben. In diesem Fall muss allerdings befürchtet werden, dass die Untersuchungen zwar formal als freiwillig deklariert werden, sich aber trotzdem zum betrieblichen Standard entwickeln, dem sich Beschäftigte in der gelebten Routine nicht entziehen können. Rechtfertigungsdruck oder auch Spekulationen zu den Gründen einer eventuellen Nichtteilnahme an der Eignungsuntersuchung stellen ihre tatsächliche Freiwilligkeit sehr in Frage.

Auch der Wunsch des Unternehmens zur Durchführung von Eignungsuntersuchungen darf Betriebsärztinnen und Betriebsärzte nicht zu Erfüllungsgehilfen wider besseres Wissen machen. Sofern kein faktischer Anlass oder eine rechtliche Basis für diese Untersuchungen besteht, sollte die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt die primäre Aufgabe darin sehen, den Betrieb über den rechtlichen Rahmen und über die Prioritäten im Gesundheitsschutz aufzuklären. Es wäre fachlich daher auch fragwürdig, solche kollektiven Eignungsuntersuchungen im Dienstleistungsvertrag als betriebsärztliche Aufgabe zu akzeptieren.

Inhaltliche Aspekte von indivi­duellen Eignungsuntersuchungen

In der Regel zielt eine individuelle Eignungsuntersuchung primär auf gesundheitlich begründete, qualitative oder quantitative Leistungseinschränkungen von Beschäftigten. Dessen ungeachtet dürfen Betriebsärztinnen und Betriebsärzte nicht den Blick für eventuelle Arbeitsschutzdefizite bei der Tätigkeit oder in der Arbeitsumgebung der Beschäftigten verlieren. Sollte eine kausale Verknüpfung zur beeinträchtigten Gesundheit der Mitarbeitenden bestehen oder bei multikausalen Krankheitsgeschehen der Arbeitsplatz zumindest einen Beitrag dazu geleistet haben, wäre vorrangig eine Optimierung des Arbeitsplatzes anzustreben.

Auftrag des Arbeitssicherheitsgesetzes ist es unter anderem, „… Ursachen von arbeitsbedingten Erkrankungen zu untersuchen, die Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten und dem Arbeitgeber Maßnahmen zur Verhütung dieser Erkrankungen vorzuschlagen …“ Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren definiert die DGUV (s. „Weitere Infos“) als „… alle Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten, die im Zusammenhang mit der Arbeit auftreten können. Dabei wird ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff zu Grunde gelegt, der physische, psychische und soziale Aspekte umfasst.“

Auch wenn zunächst der konkrete Eignungszweifel und damit unausgesprochen ein Defizit auf der Seite der Beschäftigten Anlass zur Untersuchung ist, muss daher im Zuge der betriebsärztlichen Bewertung die Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 4 des Arbeitsschutzgesetzes beachtet werden. Sofern es diesem Ziel dienlich ist, können Betriebsärztin oder Betriebsarzt und die Beschäftigten einvernehmlich weitere Akteure des Betriebs, zum Beispiel Vorgesetzte, die Sicherheitsfachkräfte oder den Betriebsrat für die Klärung hinzuziehen. Die Schweigepflicht der Betriebsärztin oder des Betriebsarztes bleibt davon unberührt. Die Modifizierung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit kann es Beschäftigten vielfach ermöglichen, trotz gesundheitlicher Einschränkung am bisherigen Arbeitsplatz der gewohnten Tätigkeit nachzugehen. Gleichzeitig lassen sich aus der Arbeitsplatzgestaltung häufig Verbesserungen des Arbeitsschutzes auch für die übrigen Beschäftigten ableiten.

Abb. 1:  Auffahrunfall, verursacht durch einen Busfahrer, der am Steuer einen reanimationspflichtigen Kollaps erlitten hat

Foto: Berger

Abb. 1: Auffahrunfall, verursacht durch einen Busfahrer, der am Steuer einen reanimationspflichtigen Kollaps erlitten hat

Inhaltliche Aspekte von kollektiven Eignungsuntersuchungen

Die immer noch zahlreichen Befürworter kollektiver Eignungsuntersuchungen argumentieren insbesondere mit deren medizinischem Nutzen und sehen in ihnen ein Instrument allgemeiner Vorsorge. So wird die Möglichkeit begrüßt, präventive Medizin auch solchen Personen zugute kommen zu lassen, die aus Eigeninitiative voraussichtlich keine ärztliche Diagnostik vornehmen lassen würden. Als Beleg werden Zufallsbefunde wie Visuseinschränkungen, hypertone Blutdruckwerte etc. aufgeführt. Ärztliche Erfahrung bestätigt zwar, dass naturgemäß eine Korrelation zwischen der Größe von Untersuchungskollektiven und der Zahl detektierter Befunde besteht und folglich bei routinemäßigen Eignungsuntersuchungen gelegentlich mit Zufallsbefunden zu rechnen ist. Allerdings darf darüber nicht verkannt werden, dass in der Vergangenheit viele hunderttausend Eignungsuntersuchungen in jedem Jahr in der überwältigenden Mehrheit jedenfalls keine Ergebnisse erbracht haben, die eine Relevanz für die eigentliche, spezifische Fragestellung der Untersuchung hatten. Vielmehr wurde meist gesunden, arbeitsfähigen Beschäftigten regelmäßig bestätigt, dass sie (zumindest scheinbar) tatsächlich gesund sind. Somit muss der tätigkeitsbezogene Nutzen kollektiver Eignungsuntersuchungen grundsätzlich in Frage gestellt werden. Es steht sogar zu befürchten, dass Unternehmen im laienhaften Vertrauen darauf, dass bis zum nächsten Untersuchungstermin „keine gesundheitlichen Bedenken“ bestehen, die eigene, kontinuierliche Beurteilung der Eignung einer beschäftigten Person vernachlässigt.

Ein weiteres Argument für kollektive Eignungsuntersuchungen wird vor allem bei Fahrtätigkeiten vielfach in Berichten über Unfallereignisse gesehen, deren Ursache gesundheitliche Vorfälle waren, etwa Herzinfarkte am Steuer eines Kraftfahrzeugs. ➥ Abbildung 1 zeigt einen Auffahrunfall, verursacht durch einen Busfahrer, der am Steuer kollabiert ist. Es kann angenommen werden, dass sich dieser Busfahrer zuvor regelmäßigen Untersuchungen gemäß FeV unterzogen hat. Es ist also zu bezweifeln, dass sich derartige Ereignisse durch routinemäßige Eignungsuntersuchungen (wie „den G25“) nachhaltig vermeiden lassen, denn diese bieten – bestenfalls – eine Bestandsaufnahme zum Untersuchungszeitpunkt und haben meist nur marginalen prädiktiven Nutzen.

Ob es im Arbeitsschutz zur Häufigkeit derartiger kausaler Verknüpfungen überhaupt Erhebungen gibt, ist unklar. Die Statistik zum Arbeitsunfallgeschehen 2017 der DGUV (s. „Weitere Infos“) enthält eine solche Rubrik nicht. Es fließen dort Kriterien wie Geschlecht, Verletzungsart, betroffenes Körperteil u.v.a. ein, zum gesundheitlichen Status von Unfallverursachern oder Unfallopfern existieren keine Angaben. Als eine von mehreren Ursachen wird beispielsweise bei Staplerunfällen lediglich „der Verlust der Kontrolle über das Arbeitsgerät …“ erwähnt, was ebenfalls nicht notwendigerweise medizinische Gründe haben muss. Wenngleich immer noch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte Eignungsuntersuchungen für Staplerfahrer oder -fahrerinnen als notwendig erachten, lässt sich somit für deren Nutzen keine statistische Evidenz anführen.

Abb. 2:  Absturzgefahr durch fahrlässige Improvisation beim Umgang mit einer Leiter

Foto: M. Albrod

Abb. 2: Absturzgefahr durch fahrlässige Improvisation beim Umgang mit einer Leiter
Abb. 3:  Absturzgefahr durch ungesichertes Arbeiten in großer Höhe

Foto: M. Albrod

Abb. 3: Absturzgefahr durch ungesichertes Arbeiten in großer Höhe

Zweifel am inhaltlichen Sinn von kollektiven Eignungsuntersuchungen gelten auch für Tätigkeiten mit Absturzgefahr („die G41“). Denn wenn eine effiziente Verhältnisprävention einen Absturz wirksam verhindert, können Beschäftigte an diesen Arbeitsplätzen sogar mit solchen Erkrankungen ohne Gefährdung für sich oder Dritte arbeiten, die per se mit einem Unfallrisiko einhergehen könnten und deshalb „gesundheitliche Bedenken“ begründen würden. Häufiger dürfte der umgekehrte Fall sein: Eine Arbeitskraft, der „keine gesundheitlichen Bedenken“ attestiert wurden, stürzt ab, weil grundlegende Arbeitsschutzregeln nicht eingehalten wurden (➥ Abb. 2 und Abb. 3).

Eine Auswertung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) von 400 tödlichen Arbeitsunfällen zwischen 2009 und 2016 (s. „Weitere Infos“) zeigt, dass

  • ca. 25 % aller Unfälle Absturzunfälle waren,
  • jedes dritte Unfallopfer von einem Dach oder durch eine Lichtkuppel gestürzt ist und
  • über 50 % der Unfallopfer weniger als 2 Meter tief gestürzt sind.
  • Dass bei mehr als 50 % der Fälle keine (aktuelle) Gefährdungsbeurteilung vorlag, mag darauf hinweisen, mit welchen Instrumenten auch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte die Primärprävention am Arbeitsplatz anstelle von Eignungsuntersuchungen, deren Indikation fraglich erscheint, tatsächlich unterstützen können.

    Die gesundheitliche Eignung von Beschäftigten wird auch in § 3 der Lastenhandhabungsverordnung (s. „Weitere Infos“) für Tätigkeiten mit manueller Lastenhandhabung vorausgesetzt: „Bei der Übertragung von Aufgaben der manuellen Handhabung von Lasten, die für die Beschäftigten zu einer Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit führen, hat der Arbeitgeber die körperliche Eignung der Beschäftigten zur Ausführung der Aufgaben zu berücksichtigen.“ Die Arbeitsmedizinische Regel (AMR) 13.2 (s. „Weitere Infos“) stellt dazu klar, dass diese Vorgabe „nicht zum Nachweis der gesundheitlichen Eignung durch eine ärztliche Untersuchung“ verpflichtet.

    Indes hätte der Beschäftigte in ➥ Abb. 4 durchaus Anlass für eine individuelle Eignungsuntersuchung geben können. Ein auch für den Arbeitgebenden leicht erkennbarer Gibbus begründet tatsächliche Zweifel an der gesundheitlichen Eignung dieses Beschäftigten für das vollschichtige Abfüllen und Palettieren 25 kg schwerer Säcke. Die Wahrnehmung der Arbeitgeberpflichten im Arbeitsschutz ist hier mit dem Auftrag zur Ausübung dieser Tätigkeit zunächst nicht vereinbar. Betriebsärztlich wäre auf alle Maßnahmen im Sinne der Arbeitsschutz-Hierarchie nach § 4 des Arbeitsschutzgesetzes hinzuwirken, bevor als letzte Option den Beschäftigten personenspezifische Eignungseinschränkungen attestiert würden.

    Abb. 4:  Manuelles Handhaben schwerer Lasten trotz offenkundiger Wirbelsäulendeformität

    Foto: M. Albrod

    Abb. 4: Manuelles Handhaben schwerer Lasten trotz offenkundiger Wirbelsäulendeformität

    Betriebliche Berücksichtigung der gesundheitlichen Eignung

    Wenngleich rechtliche Grenzen bei der Durchführung von Eignungsuntersuchungen konsequent einzuhalten sind und obwohl diese Untersuchungen als Routineuntersuchung inhaltlich-medizinisch mitunter von fraglichem Nutzen sind, kann das Thema „gesundheitliche Eignung“ im betrieblichen Alltag nicht ausgeblendet werden und verlangt nach rechtskonformer und praktikabler Berücksichtigung.

    Zunächst ist das Unternehmen kontinuierlich und unmissverständlich an die eigene Verantwortung im Arbeits- und Gesundheitsschutz zu erinnern. Professionell durchgeführte und umfassende Gefährdungsbeurteilungen tragen dazu bei, menschengerechte und möglichst gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen anzubieten, so dass sich die Frage der gesundheitlichen Eignung von Beschäftigten seltener stellt. Die Unfallstatistiken geben ausreichende Hinweise auf erforderliche Themenschwerpunkte in der Gefährdungsbeurteilung. Die gesundheitliche Eignung der Beschäftigten ist im Arbeitsschutz lediglich ein Aspekt von vielen, ihre Beurteilung gehört dennoch zu den Kernaufgaben von Vorgesetzten. Darüber hinaus soll im Betrieb ein Bewusstsein für Themen des Gesundheitsschutzes erzeugt werden. Eine betrieblich gelebte Arbeitsschutzkultur muss es den Beschäftigten erlauben, rechtzeitig und ohne Gefahr repressiver Reaktionen gesundheitliche Leistungseinschränkungen zu thematisieren.

    Betriebsärztinnen und Betriebsärzte unterstützen dieses Konzept, indem sie sich an den regelmäßigen Unterweisungen der Beschäftigten aktiv beteiligen. Sie informieren über gesundheitliche Zusammenhänge, weisen auf spezifische Risiken einer Tätigkeit hin und motivieren zur gewissenhaften Wahrnehmung von Eigenverantwortung. Die DGUV Vorschrift 1 (s. „Weitere Infos“) führt in § 15 dazu aus: „Die Versicherten sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Unternehmers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sowie für Sicherheit und Gesundheitsschutz derjenigen zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen betroffen sind …“. Ergänzend machen schriftliche, tätigkeitsspezifische Informationen Sinn, in denen kritische Symptome und Krankheiten aufgelistet werden, bei deren Vorkommen individueller betriebsärztlicher Rat eingeholt werden sollte. Es ist zu vermitteln, dass in einem solchen Fall Problemlösungen gemeinsam und transparent erarbeitet werden und dass Maßnahmen der Verhältnisprävention Vorrang haben.

    Schlussfolgerungen

    Die gesundheitliche Eignung von Beschäftigten bleibt ein wichtiges, jedoch nicht das vorrangige Thema des betrieblichen Gesundheitsschutzes.

    Im individuellen Fall begründeter Eignungszweifel bleiben betriebsärztliche Eignungsberatung und gegebenenfalls -untersuchung ein probates Instrument des betrieblichen Gesundheitsschutzes.

    Kollektive, ohne individuellen Anlass durchgeführte Eignungsuntersuchungen sind formal kritisch zu beurteilen, wenn sie nicht auf einer Rechtsnorm beruhen, und werden inhaltlich den Anforderungen des Gesundheitsschutzes nicht ausreichend gerecht.

    Nachhaltige Strategien der Primärprävention und die Beachtung der gesetzlichen Hierarchie von Schutzmaßnahmen stehen im Zentrum des Gesundheitsschutzes.

    Die mitunter große Kreativität in der betrieblichen Verankerung und Rechtfertigung kollektiver Eignungsuntersuchungen zeugt von einer diskussionswürdigen Priorisierung betriebsärztlicher Aufgaben.

    Betriebsärztinnen und Betriebsärzte nehmen ihren gesetzlichen Unterstützungsauftrag wahr, wenn sie Unternehmer und Beschäftigte über gesundheitliche Eignungsmerkmale aufklären und zur Wahrnehmung von Verantwortung motivieren.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    DGUV Grundsätze für arbeitsmedizinische Untersuchungen, 6. Aufl. Stuttgart: Gentner, 2014.

    Weitere Infos

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Arbeitsmedizinische Regel (AMR) 13.2 „Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System“
    www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/AMR…

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Faktenblatt Tödliche Arbeits­unfälle, Absturzunfälle, Dortmund, 2017
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fakten/Absturzunfaelle.pdf

    Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Zum Thema Eignungsuntersuchungen (Stand: Oktober 2018)
    https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Arbeitsschutz/zum-the…

    Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeits­sicherheit (Arbeitssicherheits­gesetz – ASiG)
    www.gesetze-im-internet.de/asig/ASiG.pdf

    Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutz­gesetz – ArbSchG)
    www.gesetze-im-internet.de/arbschg/ArbSchG.pdf

    DGUV: Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren
    www.dguv.de/de/praevention/themen-a-z/arb-gesundheit/index.jsp

    DGUV: Statistik Arbeitsunfallgeschehen 2017
    https://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/12728.pdf

    DGUV Vorschrift1, Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“
    https://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/1.pdf

    DGUV Vorschrift 68, Unfallverhütungsvorschrift „Flurförderzeuge“
    https://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/vorschrift68.pdf

    Verordnung über Arbeiten in Druckluft (Druckluftverordnung – DruckLV)
    www.gesetze-im-internet.de/drucklv/DruckLV.pdf

    Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV)
    www.gesetze-im-internet.de/fev_2010/FeV.pdf

    Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit (Lastenhandhabungsverordnung – LasthandhabV)
    www.gesetze-im-internet.de/lasthandhabv/LasthandhabV.pdf

    Verordnung zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Strahlenschutzverordnung – StrlSchV)
    http://www.gesetze-im-internet.de/strlschv_2018/StrlSchV.pdf

    Autor
    Dr. med. Manfred Albrod

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