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Probiotika zur Behandlung des Reizdarmsyndroms noch experimentell

Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms sind nach wie vor eine Herausforderung in der Medizin, erklärte Paul Enck, Forschungsleiter der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen, auf einer Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM) am 20. März 2018 in Berlin.

Seit der „Wiederentdeckung“ der Darmmikrobiota (früher „Darmflora“ genannt) als „Key Player“ bei einer Vielzahl von Darmerkrankungen, aber auch bei systemischen Krankheiten (z. B. Diabetes, metabolisches Syndrom und Übergewicht) und bei psychiatrischen sowie neurologischen Krankheiten (Depression, Autismus-Spektrum-Störungen, Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson), herrscht die Meinung vor, dass eine Manipulation der Darmmikrobiota, zum Beispiel durch Probiotika, therapeutisch sinnvoll und wirksam sein müsste.

Leider ist der Fortschritt in der Medizin jedoch nicht so schnell wie die Wünsche ihrer potenziellen Nutzer, und das aus vielerlei Gründen so Enck:

Die Assoziation einer gestörten Darmmikrobiota („Dysbiose“) mit einem Krankheitsbild ist meistens nur korrelativer Natur, sagt also nichts über Ursache und Wirkung aus.

Die Manipulation der Darmmikrobiota durch Prä- und Probiotika ist von fraglicher Wirksamkeit, zumal es sich dabei um sehr unterschiedliche Produkte handelt.

Viele der in solchen Präparaten, Nahrungsergänzungsmitteln und Lebensmitteln enthaltenen Bakterien überleben die Magen-Darm-Passage gar nicht.

Der Wirkmechanismus ist in den meisten Fällen bisher noch ungeklärt (metabolisch, neuro-hormonell, immunologisch?).

Viele der Spekulationen beruhen auf tierexperimentellen Modellen, deren Übertragbarkeit auf den Menschen – und gar auf Patienten – fraglich ist.

Dennoch gibt es seit kurzem Probiotika der nächsten Generation (sogenannte Psychobiotika, zum Beispiel Bifidobacterium longum 1714), die über einen nachgewiesenen Mechanismus auch auf Hirnfunktionen wirken (Stimmung einschl. Depression, Gedächtnisbildung, Emotionen und Emotionserkennung, Stressbewältigung), und zwar sowohl bei gesunden Menschen als auch bei Patienten, zum Beispiel mit einem Reizdarmsyndrom. Dies gilt auch für andere, speziell auf den Darm wirkende Medikamente.

Deren Wirksamkeit im klinischen Alltag muss allerdings erst in Doppelblindversuchen und im Vergleich zu herkömmlichen Medikamenten erwiesen werden, schränke Enck voreilige Hoffnungen ein.

Kenntnisse über diese Thematik sind gerade für den Gutachter in der (privaten) Krankenversicherung wichtig, werden dort doch recht häufig entsprechende Rechnungen für mikrobiologische Stuhluntersuchungen („Darmflora-Analysen“ oder „Darm-Ökogramme“) und daraus abgeleitete Therapien zur Kostenerstattung eingereicht, deren medizinische Notwendigkeit dann gutachtlich zu beurteilen ist.

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden