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LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.9.2016 – L 7 R 2329/15

Leitsatz: Trotz des Rechts der zu begutachtenden Person auf einen Beistand während der Begutachtung kann die Teilnahme des Ehegatten bei der Anamneseerhebung im Rahmen eines psychiatrischen Gutachtens dessen Verwertbarkeit entgegenstehen.

Aus den Gründen:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung streitig. …

Mit Gerichtsbescheid vom 29. April 2015 hat das SG die Beklagte … verurteilt, dem Kläger … eine Rente wegen voller Erwerbsminderung … zu gewähren. …

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. …

Der Kläger ist damit noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und ohne besondere Stressbelastung im Umfang von zumindest sechs Stunden arbeitstäglich in Normalschicht auszuüben. …

Soweit Dr. Sch. im Gutachten vom 4. Dezember 2014 zu der Beurteilung gelangt ist, das berufliche Leistungsvermögen des Klägers sei derzeit aufgehoben, folgt dem der Senat nicht. Gegen das Gutachten bestehen schon methodische Bedenken, da die Ehefrau des Klägers bei der Anamneseerhebung anwesend war. Soweit der Klägervertreter hierzu vorgetragen hat, der Kläger habe ein Recht auf Anwesenheit eines Beistandes anlässlich der Untersuchung (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Februar 2010 – L 31 R 1292/09 B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Februar 2006 – L 4 B 33/06 SB; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Juli 2006 – L 5 KR 39/05), betrifft dies andere Sachverhalte und ist in dieser Allgemeinheit auch nicht zutreffend. Das LSG Berlin-Brandenburg hat in der angeführten Entscheidung vielmehr gerade ausgeführt, es entspreche den Regeln der psychiatrischen Begutachtung, die Anwesenheit Dritter bei der Exploration abzulehnen (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O. – juris Rdnr. 5). Dies entspricht auch dem Stand der Wissenschaft. Bei der psychiatrischen Begutachtung ist grundsätzlich die Anwesenheit dritter Personen während der Exploration und der Untersuchung kontraproduktiv und kann den Aufbau einer Beziehung zwischen Proband und Gutachter stören. Dabei ist auch zu bedenken, dass bei Anwesenheit von Angehörigen die Mitteilungen des Probanden verfälscht sein können, sodass diese Personen während des gutachtlichen Gesprächs nicht anwesend sein sollten (Ventzlaff/Förster, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 17). Vielmehr kann vor oder nach der Exploration mit den Angehörigen gesprochen werden. Selbst bei der grundsätzlich möglichen Anwesenheit eines Prozessvertreters bei der gutachtlichen Untersuchung ist jedoch vorab eindeutig abzustimmen, dass die Rechtsvertreter bzw. Beistände zuhören, aber keinesfalls in das Gespräch eingreifen (Ventzlaff/Förster, a.a.O.). Diese Kriterien an eine gutachterliche Untersuchung erfüllt das von Dr. Sch. erstattete Gutachten nicht, da dieser im Rahmen der Exploration des Klägers auch dessen Ehefrau miteinbezogen hat.

Gegen das Vorliegen einer durchgehenden schwerwiegenderen Depression, welche der Ausübung einer sechsstündigen Tätigkeit entgegenstehen könnte, spricht zudem, dass eine medikamentöse Therapie insoweit nicht durchgeführt wird. …

Redaktionell überarbeitete Fassung, eingereicht von P. Becker, Kassel