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Editorial

Die Beurteilung von Betroffenen mit der Diagnose einer chronischen Schmerzkrankheit gehört mit zu den häufigsten Fragen, die einem Gutachter gestellt werden. Diese Diagnose schon bereitet häufig Schwierigkeiten. Schnell steht bei nicht als organisch zu erklärender Ursache von chronischen Schmerzen der Verdacht auf eine Aggravation im Raum. An die Möglichkeit dieser Diagnose müssen neben einem auffallenden Unterschied zwischen Befund und Befinden ständig wechselnde Diagnosen und ein häufiger Arztwechsel durch den Betroffenen denken lassen, der seine Beschwerden endlich geklärt haben möchte. Für den Gutachter ergibt sich dann die nicht einfache Aufgabe, die Diagnose zu sichern und von weiteren Diagnosen aus dem psychiatrischen Fachgebiet abzutrennen, und im nächsten Schritt deren Einfluss etwa auf die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen und weiter auch auf seine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben allgemein zu diskutieren. Mit diesen sozialmedizinischen Aspekten der chronischen Schmerzerkrankung beschäftigen sich zwei Beiträge in dieser Ausgabe der Zeitschrift. Der Beitrag von Keller, Schairer, Kappis und Egle stellt – mit Blick gerade auf den juristischen Leser- die Grundlagen heraus, denen heute ein die Ansprüche erfüllendes Gutachten zur Beurteilung chronischer Schmerzzustände genügen muss. Der weitere Beitrag von Egle, Keller, Kappis, Schairer und Bär beschäftig sich mit dem Sonderfall der stressinduzierten Hyperalgesie, ihren heute bekannten neurobiologischen Grundlagen und den sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die sozialmedizinische Begutachtung.

Die Beurteilungswerte in den heute gebräuchlichen MdE/GdS/GdB-Tabellen gehen immer noch in weiten Teilen auf Vorgaben zurück, die zu Beginn des vorherigen Jahrhunderts erarbeitet wurden. Mit Umgestaltungen in der Arbeitswelt, Neugewichtungen der Bedeutung einzelner Fähigkeiten in der Teilhabe und auch durch die Entwicklung von Hilfsmitteln sind jedoch in den Grundlagen dieser Vorgaben vielfache Veränderungen eingetreten, die einen kritischen Blick auf diese Werte erforderlich erscheinen lassen. Der Beitrag von Ludolph und Schürmann berichtet über den Stand der Diskussion zu neuen Bewertungen von Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in der gesetzlichen Unfallversicherung in der Kommission Gutachten der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Die Diskussion um ausgewogene Neubewertungen – sie betrifft weiter auch die anstehenden Änderungen in der Versorgungsmedizin-Verordnung- ist kontrovers, konfliktreich und erst am Anfang stehend. Sie muss aber u.a. auch im Hinblick auf Vorgaben oberster Gerichte und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geführt werden. Zu diesem Problemkreis findet sich aktuell auch in Heft 1/2016 der „Österreichischen Zeitschrift für das Ärztliche Gutachten“ (DAG) ein Beitrag, der die Diskussion dieser Fragen im dortigen System darstellt. Einmal wird hier der Einfluss moderner Prothetik und ihrer Begutachtung im Einzelfall hinsichtlich der Auswirkungen auf die MdE nach Unfällen mit Gliedmaßenverlust diskutiert. Zum anderen berichtet der Beitrag über die Ergebnisse eines internationalen Kongresses der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt AUVA in Wien im Oktober 2015 zu dem Thema „Begutachtung nach Trauma & Rechtliche Fragen in der Medizin“, der gleichfalls das Thema Neubemessung von MdE-Werten in zeitgemäßen Vorgaben zum Inhalt hatte (Eschberger D: Aktuelle Entwicklung in der Begutachtung nach Amputationen. DAG (2016),4,1:10).

Probleme infolge aus der Anwesenheit von Begleitpersonen bei der Begutachtung waren schon Thema von Beiträgen in dieser Zeitschrift (siehe etwa Deitmaring in Heft 3/2009). Dass es hierbei nicht vorrangig nur um Schwierigkeiten im äußeren Ablauf einer Begutachtung geht, sondern vielmehr durch die Anwesenheit einer Begleitperson Ergebnisse testpsychologischer Untersuchungen nachweisbar eine Verfälschung erfahren können, ist im Beitrag von Brockhaus anhand der Literatur dargestellt.

Mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom April 2015 wurde die Bewertung von Unfallfolgen des Schulterbereichs in der privaten Unfallversicherung aus der Gliedertaxe zum Armwert herausgenommen. Die sich jetzt ergebenden Beurteilungsprobleme mit der Invaliditätsbemessung außerhalb dieser Gliedertaxe werden im Beitrag von Ludolph und Schröter dargestellt und darauf basierend ein Lösungsansatz entwickelt.

Hingewiesen sei an dieser Stelle auf das kommende Heidelberger Gespräch am 28. und 29. September 2016, diesmal an einem neuen Veranstaltungsort, dem Kongresszentrum des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. Dem aktuellen Anlass entsprechend wird sich der erste Tag mit Fragen der Begutachtung bei Flucht und Migration beschäftigen. Weitere vorgesehene Themen sind die Diskussion um Begutachtungsschwerpunkte von Psychiatern und Psychologen, weiter zu Neuregelungen in der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit und im Beamtenrecht (siehe hierzu auch den Hinweis auf Seite 55 dieser Ausgabe). Anmeldungen sind unter www.medsach.de bereits möglich.

E. Losch, Frankfurt/Main