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Keine Erhebung der Fremd-anamnese durch den gericht-lichen Sachverständigen im Zivilprozess

Es steht dem gerichtlichen Sachverständigen nicht frei, einen möglicherweise streitrelevanten Sachverhalt zu ermitteln, indem er zur Erstellung der Fremdanamnese bei einer Prozesspartei oder einer am Rechtsstreit nicht beteiligten Person weitere Tatsachen erfragt. Dem steht das Strengbeweisverfahren entgegen, erklärte das Berliner Kammergericht mit Urteil vom 12.11.2014 (AZ: 6 U 66/13), über welches die Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“ berichtet.

In einem Rechtsstreit um Leistungen aus der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung hatte die Klägerseite am Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen das Fehlen einer Fremdanamnese als weitere Begutachtungsgrundlage moniert und sich dabei auf die „SK2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und somatischer Erkrankungen AWMF“ berufen. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Feststellung, das Gutachten sei mangelhaft, erklärten die Berliner Richter:

Zum einen kann dem Wortlaut der zitierten Richtlinie nicht entnommen werden, dass ein Gutachten, das keine Fremdanamnese berücksichtigt, als nicht richtliniengerecht erstellt angesehen werden muss.

Zum anderen würde diese Richtlinie im Fall der Gutachtenbeauftragung durch ein Gericht ohnehin durch das dann zu beachtende Prozessrecht, speziell durch die besonderen Regelungen zum Strengbeweisverfahren (§ 284 Abs. 1 ZPO) überlagert. Denn im Zivilprozess ist es wegen des dort geltenden Beibringungsgrundsatzes grundsätzlich Aufgabe der (am Prozess beteiligten) Parteien, substanziiert den aus ihrer Sicht entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorzutragen.

Dazu gehört im Fall einer Klage auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung – neben Vortrag zu Art und Umfang der Erkrankung des Versicherten – im Wesentlichen auch die Darstellung ihrer Folgen und ihrer Auswirkungen auf die Lebensumstände des Betroffenen und die dadurch konkret feststellbaren Einschränkungen im Bereich der Berufsausübung.

Soweit diese Behauptungen nicht unstreitig bleiben, hat das Gericht im Rahmen einer Beweisaufnahme zu klären, ob die Behauptungen der beweisbelasteten Partei wahr sind oder nicht (§ 286 Abs. 1 ZPO). Dies erfolgt für die Frage der Berufsunfähigkeit regelmäßig durch Einholung eines Sachverständigengutachtens gem. §§ 402 ff. ZPO, wobei der Sachverständige sein Gutachten auf der Basis des ihm vom Gericht vorgegebenen – zuvor von den Parteien beigebrachten – Sachverhalts, den er lediglich um eine Eigenexploration ergänzt, zu erstellen hat (§ 404 a ZPO).

Keinesfalls steht es aber dem Sachverständigen frei, von sich aus einen weiteren, möglicherweise streitrelevanten Sachverhalt zu ermitteln, indem er zur Erstellung einer Fremdanamnese bei einer Prozesspartei oder am Rechtsstreit nicht beteiligten Personen weitere ,möglicherweise begutachtungsrelevante, Tatsachen erfragt, erklären die Berliner Richter.

Denn das Strengbeweisverfahren der ZPO sieht eine Vernehmung von nicht am Rechtsstreit beteiligten Personen nur im Rahmen einer förmlichen Zeugenvernehmung durch das Gericht vor (§§ 373 ff. ZPO). Deren Anordnung wiederum setzt voraus, dass die Parteien die unter Zeugenbeweis gestellten entscheidungsrelevanten Tatsachen zuvor beigebracht, also substanziiert behauptet, haben.

(Versicherungsrecht 66 (2015), 14: 566–568)

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden