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Kostenerstattung für Hörgeräte in der privaten Krankenver-sicherung: BGH-Rechtsprechung

In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist die Versorgung mit Hörgeräten weitgehend klar geregelt, erklärte Frank Waldfahrer von der Hals-Nasen-Ohrenklinik, Kopf- und Halschirurgie, am Universitätsklinikum Erlangen auf dem 10. HNO-Update-Seminar am 25. und 26. November 2016 in Mainz. Hier gelten v. a. die vom Bundessozialgericht im Jahr 2009 (AZ: B 3 KR 20/08 R) aufgestellten Leitsätze:

  1. GKV-Versicherte haben Anspruch auf die Hörgeräteversorgung, welche die nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt, soweit dies im Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil bietet.
  2. Die Festbetragsregelung ermächtigt als Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu Leistungsbegrenzungen nur im Hinblick auf die Kostengünstigkeit der Versorgung, nicht aber zu Einschränkungen des GKV-Leistungskatalogs; kann mit einem Festbetrag die nach dem GKV-Leistungsstandard gebotene Versorgung nicht für grundsätzlich jeden Versicherten zumutbar gewährleistet werden, bleibt die Krankenkasse weiterhin zur Sachleistung verpflichtet.
  3. Gebrauchsvorteile für die Berufsausübung sind für die GKV-Hilfsmittelgewährung grundsätzlich unbeachtlich.

Anders sieht es in der privaten Krankenversicherung (PKV) aus, so Waldfahrer. Hier gelte das oben beschriebene Wirtschaftlichkeitsgebot nicht, vielmehr gelte der Versorgungsgrundsatz der medizinischen Notwendigkeit. Eine Kostenobergrenze sei damit nicht definiert.

Deshalb kam es in den letzten Jahren häufiger zu Rechtsstreitigkeiten, wenn die Versicherungsgesellschaft die Kosten für ein höherpreisiges Hörsystem nur anteilig übernommen hatte. Streitgegenständlich war dann immer die medizinische Notwendigkeit, wobei es häufig um Zusatz- bzw. Komfortfeatures wie Bluetooth-Konnektivität oder Fernbedienbarkeit ging.

Zu letzterer Problematik stellte Waldfahrer ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22.4.2015 (AZ: IV ZR 419/13, LG München I) mit folgendem Leitsatz vor:

„Die Aufwendungen für ein Hilfsmittel übersteigen das medizinisch notwendige Maß i. S. von § 5 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 2009, wenn einerseits das Hilfsmittel zusätzliche, nicht benötigte Funktionen oder Ausstattungsmerkmale aufweist, und andererseits zugleich preiswertere, den notwendigen medizinischen Anforderungen für den jeweiligen Versicherungsnehmer entsprechende Hilfsmittel ohne diese zusätzlichen Funktionen oder Ausstattungsmerkmale zur Verfügung stehen.“

Wenn man hier nur den Leitsatz liest, übersieht man eine äußerst alltagsrelevante Feststellung, so Waldfahrer:

„Danach übersteigen die Aufwendungen für ein vom Arzt verordnetes und vom Versicherungsnehmer erworbenes Hilfsmittel das medizinisch notwendige Maß i. S. von § 5 Abs. 2 Satz 1 RB/KK 2009 dann, wenn einerseits das Hilfsmittel zusätzliche, nicht benötigte Funktionen oder Ausstattungsmerkmale aufweist, und andererseits zugleich preiswertere, den notwendigen medizinischen Anforderungen für den jeweiligen Versicherungsnehmer entsprechende Hilfsmittel ohne diese zusätzlichen Funktionen oder Ausstattungsmerkmale zur Verfügung stehen.

Für Heilbehandlungsmaßnahmen hat der Senat Entsprechendes bereits ausgeführt. Mit Urteil vom 12. März 2003 […] hat er […] klargestellt, dass der Versicherer, der seine Leistungen wegen einer Übermaßbehandlung kürzen will, zu beweisen habe, dass bei einer an sich medizinisch notwendigen Heilbehandlung eine einzelne Behandlungsmaßnahme medizinisch nicht notwendig war […].

Übertragen auf Hilfsmittel muss der Versicherer, um sich auf die Leistungseinschränkung berufen zu können, darlegen und beweisen, dass bei einem an sich notwendigen Hilfsmittel bestimmte Funktionen oder Ausstattungsmerkmale medizinisch nicht notwendig sind. Darüber hinaus muss er aber auch darlegen und beweisen, dass ein Hilfsmittel ohne diese Ausstattungsmerkmale oder Funktionen, welches ebenfalls – gemessen an den Bedürfnissen des Versicherungsnehmers – das medizinisch notwendige Maß erfüllt, zu einem niedrigeren Preis auf dem Markt erhältlich war.

Dieser niedrigere Preis, für den ein den medizinischen Notwendigkeiten genügendes Hilfsmittel ohne die nicht benötigten zusätzlichen Ausstattungsmerkmale hätte erworben werden können, stellt dann zugleich den angemessenen Betrag dar, auf den der Versicherer seine Leistung in diesem Falle kürzen kann.“

Das verordnete Hörgerät kostete 2.083 €, die Versicherung bot 1.500 € an. Die beiden Vorinstanzen hatten die beklagte Versicherung jeweils zur Zahlung des Differenzbetrags verurteilt. Hiergegen richtete sich die Revision der Beklagten.

Somit muss nicht der Versicherungsnehmer beweisen, dass ein bestimmtes Merkmal seines Hörgeräts medizinisch notwendig ist, vielmehr hat der Versicherer eine Übermaßbehandlung zu beweisen. Der Schlussfolgerung von Waldfahrer, dies sei „eine klassische Beweislastumkehr“, ist allerdings nicht zu folgen.

Grundsätzlich gilt:

Die Beweislast dafür, dass eine Versorgung mit einem Hörgerät an sich medizinisch notwendig ist, trägt der Versicherte.

Hat die Krankenversicherung die medizinische Notwendigkeit einer Hörgeräteversorgung generell anerkannt, ist sie beweispflichtig, wenn sie eine Übermaßbehandlung durch Versorgung mit einem bestimmten (teuren) Hörgerät behauptet und aus diesem Grund ihre Leistungen einschränken will.

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden