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Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) — problematisch für die Begutachtung

Psychische Störungen und emotionale Dysbalancen (in der TCM als „Shen-Störungen“ bezeichnet) waren einer der Schwerpunkte des Kongresses. Angeblich stellen chinesische Kräutertherapie sowie Tai Ji und Qi Gong kostengünstige und effektive Methoden dar, um westliche Behandlungsmethoden bei solchen Krankheitsbildern zu unterstützen und unerwünschte Nebenwirkungen zu mildern, so der Veranstalter, die AGTCM (Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V.).

„Aufgrund der erfolgreichen Anwendung der Chinesischen Medizin im Bereich der psychischen Störungen und emotionale Dysbalancen, hat in den letzten Jahren das therapeutische wie auch wissenschaftliche Interesse an diesem Themenbereich deutlich zugenommen“, erklärte Christian Yehoash, Leiter des TCM Kongresses Rothenburg. Die Belege für Wirksamkeit von TCM-Methoden bei psychischen Erkrankungen sind aus kritisch-wissenschaftlicher Sicht – außer für Yoga – allerdings recht spärlich.

Der neue ärztliche Leiter des TCM Kongresses Rothenburg Prof. Dr. Benno Brinkhaus, der seit 2006 das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin leitet und seit 2010 eine Stiftungsprofessur für Naturheilkunde innehat, informierte mit seinem Vortrag „Akupunkturforschung als Wegbereiter für die Akzeptanz der Chinesischen Medizin?“ über den aktuellen Stand der medizinischen Forschung im Bereich der Akupunktur.

Brinkhaus berichtete, dass die Akupunktur in der Schmerztherapie effektiv ist, etwa bei der Behandlung von Arthrose. Im Vergleich zur Sham-Akupunktur sind spezifische Effekte der Nadelung von traditionellen Akupunktur-Punkten nachgewiesen; diese sind allerdings relativ gering. Zudem hat sich die Akupunktur als sicher erwiesen; schwere Nebenwirkungen sind sehr selten.

Entsprechend hatte schon Prof. Dr. Andreas Michalsen, ebenfalls von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, auf dem 11. Allgemeinmedizin-Update-Seminar am 12. und 13. Mai 2017 in Wiesbaden erklärt, dass in der Schmerztherapie nur etwa 1/3 des Gesamteffektes der Akupunktur auf der Punktspezifität, beruht, 2/3 dagegen auf anderen, „unspezifischen“ Effekten beruhen, vermutlich vor allem auf reflektorischen Wirkungen der Hautpenetration, Endorphinausschüttungen und neurobiologischen Effekten sowie Setting und Zuwendungseffekten, d. h. klassischen Plazeboeffekten.

Auch in der Behandlung von Allergien, etwa der allergischen Rhinitis, wurden in den letzen Jahren qualitativ hochwertige Studien durchgeführt, welche Effekte etwa auf die Lebensqualität und den Medikamentenverbrauch belegen, führte Brinkhaus aus. Kritisch anzumerken ist dazu allerdings, dass die allergische Rhinitis in den allermeisten Fällen etwa mit Antihistaminika effektiv behandelt werden kann – und das wesentlich preisgünstiger als mit Akupunktur und ohne die Notwendigkeit, sich wiederholt in ärztliche Behandlung zu begeben.

Zusammenfassend stellte Brinkhaus fest, dass die Akupunktur in den letzen Jahren große Fortschritte in der allgemeinen Akzeptanz gemacht hat. Jetzt seien weitere Studien zu den Wirkmechanismen der Akupunktur und zu Effekten komplexer Behandlungen erforderlich.

Ob allerdings diese – sicherlich interessanten – neuen Studien zur Akupunktur die Akzeptanz der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) in der wissenschaftlichen Medizin erhöhen, erscheint mehr als fraglich. Vorträge zu Themen wie „Praxisstile in der Behandlung von Wind-Schlaganfall“, „das Leben nähren in dem Bestreben nach Transzendenz oder Gesundheit“ (beide im „Thementag TCM-Wissenschaft“!) oder gar „Heilen mit schamanischen Trommeln aus der Klassischen Chinesischen Medizin“ scheinen doch weit von einem (natur-)wissenschaftlich orientierten Medizinverständnis entfernt.

Gerade in der Begutachtung etwa der medizinischen Notwendigkeit einer solchen Behandlung nach den Regeln der TCM ist aber zu prüfen, ob ein Wirksamkeitsnachweis nach den Standards der modernen wissenschaftlichen (westlichen) Medizin, möglichst nach dem Konzept der evidenzbasierten Medizin (EbM), vorliegt.

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden