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Komplikationen der Blutgerinnung in der oralen Chirurgie

In der Regel sind diese Blutungen durch einfache Maßnahmen beherrschbar. Unter Umständen können jedoch auch schwerwiegende Blutungen eintreten, die sich bis zur Notwendigkeit der klinischen Betreuung und stationären Aufnahme entwickeln können. Unter der Maxime des „primum nihil nocere“ sind sowohl in der prä- als auch in der intra- und in der postoperativen Phase alle Maßnahmen zu treffen, die ein schwerwiegendes Blutungsereignis möglichst nicht entstehen lassen.

Die übergeordneten chirurgischen Aspekte hinsichtlich solcher Blutungsereignisse liegen dabei einmal in der Ausschöpfung aller prohylaktischen Maßnahmen, ein Blutungsrisiko zu senken, blutungsbegünstigende Begleiterkrankungen zu berücksichtigen, größere Verletzungen der Weichgewebe zu vermeiden und bei angeborenen sowie auch erworbenen Gerinnungsstörungen die interdisziplinäre, fachübergreifende Vorbereitung und Betreuung dieser Patienten sicherzustellen. Eine nicht unwesentliche Rolle spielen aber auch die Mitarbeit des Patienten in der prä- und postoperativen Phase und die klaren Verhaltensanweisungen an den Patienten bei Entlassung nach dem operativen Eingriff.

Wahl fasste die Grundsätze der Behandlung bei angeborenen und erworbenen Gerinnungsstörungen und bei Patienten unter Thrombozytenfunktionshemmern sowie des Einsatzes von Hämostyptika folgendermaßen zusammen:

Angeborene Gerinnungsstörungen

• Das therapeutische Vorgehen bei zahnärztlich-chirurgischen/oralchirurgischen Eingriffen ist abhängig vom Typ und individuellen Schweregrad der angeborenen Gerinnungsstörung, dem Ort und der Ausdehnung der geplanten oralchirurgischen Maßnahmen, der Erfahrung des Behandlers und der primär abzustimmenden interdisziplinären Entscheidung zur ambulanten oder klinischen Versorgung.

• Die zahnärztliche Grundversorgung und auch einfache oralchirurgische Maßnahmen sind bei milden und oft auch bei moderaten Formen der Hämophilie und insbesondere beim Typ I des von-Willebrand-Jürgens-Syndroms in interdisziplinärer Absprache auch ambulant durchführbar.

• In jedem Fall ist postoperativ eine gesicherte Ruf- und Notfallbereitschaft zu gewährleisten in engem Kontakt zu einer hämatologischen Praxis oder einer hämatologischen klinischen Versorgungseinheit, die auch über einen längeren Zeitraum nach dem Eingriff sichergestellt ist.

• Einheitlich gesicherte Therapieregime gibt es aufgrund mangelnder Datenlage nicht, und die vorliegenden Behandlungsempfehlungen für die Hämophilie und das von-Willebrand-Jürgens-Syndrom sind nur bedingt auf andere angeborene Blutungsneigungen übertragbar.

• Empfehlungen und Leitlinien für die zahnärztliche und zahnärztlichchirurgische Versorgung bei Hämophilie-Patienten und von-Willebrand- Jürgens-Syndrom fehlen im deutschsprachigen Raum. Gerade die zunehmende Zahl von Hämophilie-Patienten, die in der Selbstinjektion der entsprechenden Faktoren-Präparate geübt sind, könnten in vielen Fällen auch ambulant betreut werden.

Erworbene Gerinnungsstörungen

• Zahlreiche Hinweise aus der Literatur belegen, dass die orale Antikoagulation mit Cumarin-Präparaten bei kleineren zahnärztlichchirurgischen Eingriffen nicht unterbrochen werden sollte, solange INR-Werte von bis zu 3,5 nicht überschritten werden.

• Die Einschätzung von Eingriffen „kleineren“ und „größeren“ Umfangs ist aber nicht einheitlich gegeben.

• Ähnliches gilt für die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK), deren derzeit fast regelhaft geübte kurzzeitige Unterbrechung durch Auslassen meist einer Medikation (Präparate-abhängig) bei guter lokaler hämostyptischer Unterstützung weniger Probleme zu erzeugen scheint. Dieses Vorgehen ist aber nur erfahrungsbasiert und nicht durch Studien belegt.

• In allen Fällen ist mit den behandelnden Hausärzten bzw. Internisten Rücksprache zu halten, welche die grundsätzliche Belastbarkeit des Patienten kennen und jegliche Änderung der Medikation festzulegen haben. Je nach Patientensituation und Behandlungsumfang ist auch die Heparinisierung zu besprechen.

• Letztlich sind dann alle lokalen hämostyptischen Maßnahmen auszuschöpfen, wobei der Einsatz von Tranexamsäure als Antifibrinolytikum auf den Aufbisstupfer aufgebracht oder fortgesetzt auch als Mundspülung sich nahezu einheitlich befürwortend in der Literatur findet. Auch bei kleineren Eingriffen macht die prophylaktische Anfertigung einer Verbandplatte Sinn, die insbesondere bei Nachblutungen nach einigen Tagen schnell genutzt werden kann.

Patienten unter Thrombozytenfunktionshemmern

• Schon lange wird die prohylaktische oder therapeutische Einnahme von Acetysalicylsäure (ASS) in der Tagesdosis von 100 mg als unproblematisch angesehen und bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen nicht unterbrochen. Allenfalls die stärkere Hämatomneigung ist auch mit dem Patienten zu thematisieren.

• Vorsicht ist geboten bei höheren ASS-Dosen, die nach Absprache mit den behandelnden Ärzten reduziert werden sollten oder deren Einfluss auf die Thrombozytenfunktion auch erst mit einer Plättchen-Funtionsanalyse (PFA-Test) geprüft werden kann.

• In neueren Studien, Leitlinien und Handlungsempfehlungen wird auch die kontinuierliche Gabe bei dualer Plättchenhemmung empfohlen, da ASS und ADP-Antagonisten auch in der Kombination bezüglich intra- und postoperativer Blutungen meist mit lokalen hämostyptischen Maßnahmen zu beherrschen sind.

• Grundsätzlich sollte aber möglichst jeder zahnärztlich-chirurgische Eingriff frühestens erst etwa sechs Monate nach Stent-Implantation erfolgen und der Eingriff mit den ärztlichen Kollegen abgesprochen werden.

Einsatz von Hämostyptika

• In allen Studien, Leitlinien und Handlungsempfehlungen wird zur Unterstützung der lokalen Hämostase bei Patienten mit eingeschränkter Gerinnung der Einsatz von Hämostyptika nachdrücklich empfohlen.

• Oxyzellulose, Kollagenvliese und -kegel haben eine gute koagelstabilisierende Wirkung und stören aufgrund ihrer guten Gewebeverträglichkeit kaum die Wundheilung. Oxyzellulose hat durch seinen Quelleffekt auch noch eine gewisse zusätzliche lokale Kompressionswirkung.

• In Ergänzung zu den in die Wunde eingebrachten Hämostyptika mit oder ohne zusätzlicher Nahtfixierung wird nachdrücklich die lokale Kompression mit Gazetupfern empfohlen getränkt mit Tranexamsäure, wobei insbesondere stärker blutungsgefährdete Patienten auch noch eine fortgesetzte Spülmaßnahme mit 5%-iger Tranexamsäure durchführen sollten, um der fibrinolytischen Aktivität des Speichels entgegen zu wirken.

• Inwieweit neuere Materialien wie die Entwicklung von Polyurethan- Schäumen resorbierbarer Art und auch Chitosan-Schwämme zur Wundversorgung und Unterstützung der Hämostase genutzt werden können, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten. Daneben ist auch noch die Frage des Preises im Vergleich zu den bisherig verwendeten hämostyptischen Materialien ein Diskussionspunkt.

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden