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Das große Komplementär-Handbuch

für Apotheker und Ärzte

Harald Walach, Sebastian Michael, Siegfried Schlett (Hrsg.),

1. Aufl. 2018, Stuttgart, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, XXI und 472 S., 34 Abb., 41 Tab., 39,80 €uro, ISBN 978-3-8047-3605-4

Dieses – recht preiswerte – „Kompendium zur Komplementärpharmazie“ soll „Apothekern, aber auch Ärzten und anderen in Heilberufen Tätigen ein schnelles und dennoch fundiertes Nachschlagewerk an die Hand geben, um sachgerechte Beratungskompetenz für Methoden zu erreichen, die über den universitären Ausbildungsstand hinausgehen“. Dabei sollen „die komplementären Heilweisen … überblicksartig reflektiert und soweit möglich im Kontext wissenschaftlicher Erkenntnisse dargestellt und eingeordnet werden“, so die Herausgeber im Vorwort.

Demnach müsste dieses Werk eigentlich für Gutachter, die Methoden der sogenannten Komplementärmedizin (bzw. Alternativmedizin) beurteilen sollen, eine wertvolle Hilfe sein – leider ist dem aber nicht so. Ziel des Buches ist nämlich offenbar vor allem, Apothekern Methoden der „Komplementärpharmazie“ als Alleinstellungsmerkmal und Möglichkeit der Kundenbindung nahe zu bringen: „In diesem Sinne stellt eine komplementäre Ausrichtung eine sinnvolle Zukunftsperspektive auch wirtschaftlicher Natur dar“, erklären die Herausgeber zur Einführung (S. 13).

Diese Haltung setzt sich im ganzen Werk weiter fort, wie folgende Zitate zeigen:

Die (risikoreiche!) Chelattherapie zur Entgiftung bei angeblicher Schwermetallbelastung wird auch mehrmals hintereinander empfohlen mit der äußerst fragwürdigen (und laienhaften) Begründung: „Je weniger Gifte oder Stoffwechselschlacken den Körper schwächen, desto gesünder ist er und desto mehr Kompetenz zur Selbstregulation behält er.“ (S. 116 f) Angeblich stellt in vielen Fällen „eine Chelatierrungstherapie eine `ultima ratio´ in der Behandlung von schweren chronischen Erkrankungen dar“. (S. 135) Zum Marketing wird empfohlen: „Gerade die Apotheke verfügt über ein breites Produktspektrum zur Anregung der Entgiftung und sollte in der Lage sein, die Patienten gezielt zu beraten.“ (S. 118) Weiter heißt es: „Die Kenntnis der Spezifität von Chelatoren, das Abwägen von möglichen Nebenwirkungen und die Auswahl einer vernünftigen Begleitmedikation können auch Teil eines Beratungsgespräches in der Apotheke sein.“ (S. 133)

Zur Orthomolekularen Medizin (OM; Anwendung sog. Mikronährstoffe in Dosierungen weit über den Empfehlungen von Ökotrophologen) wird ausgeführt: „Bioidentische Nährstofftherapien haben in jeder medizinischen Fachrichtung Platz. Da sie die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren, können sie bei nahezu jedem Krankheitsbild mehr Heilungskräfte wachrufen.“ Marketing-Aspekte werden besonders herausgehoben: „OM-Produkte sind sehr umsatzrelevant und gehören in jede Apotheke. NEMs [Nahrungsergänzungsmittel] und diätetische Lebensmittel inländischer Hersteller kann man ins Sortiment aufnehmen. Auch eine eigene NEM-Hausmarke über einschlägige Lohnhersteller produzieren zu lassen, kann sehr imagefördernd sein …“ (S. 163 f)

Auch das aktuell intensiv diskutierte Thema des Mikrobioms (v. a. im Darm) und dessen mögliche Beeinflussung durch Probiota werden angesprochen. Demnach sollen etwa Kunden mit verschiedenen „Störungen des Immunsystems spezifische Bakteriengemische“ empfohlen werden, so bei angeblichen Autoimmunprozessen, „die das Nervensystem betreffen (Autismus, Demenz, Polyneuropathie u. a.)“, weiter auch bei Depressionen und „in der komplementären Onkologie“. Abgesehen davon, dass nicht nachvollziehbar ist, warum etwa Autismus eine „Störung des Immunsystems“ oder gar ein Autoimmunprozess sein soll, fallen hier besonders die ganz konkreten Marketingempfehlungen auf: „Probiotika sind in der Regel als diätetische Lebensmittel apothekenpflichtig und gehören in die Sichtwahl, Nahrungsergänzungen aus der gleichen Gruppe in die Sicht- oder Freiwahl, auf jeden Fall griffbereit. Schaufensterdekorationen bieten sich ebenso an wie Abendschulungen von interessierten Kunden. Starke Umsatzrelevanz bei wenig Investitionsbedarf.“ (S. 172 f)

In dieses Konzept passt dann auch die Empfehlung zur Vermarktung der Homöopathie: „Homöopathika erleben seit Jahren einen Aufschwung und sind integraler Bestandteil des Apothekenmarktes. … Apotheken können an ihrem Standort eine Alleinstellung generieren, indem sie sich auf Homöopathie spezialisieren.“ (S. 199)

Angesichts solcher Aussagen ist auch eine ausgesprochene Heterogenität der Herausgeber und der Autoren, zu u. a. denen etliche alternativmedizinisch tätige Ärzte, aber beispielsweise auch Heilpraktiker gehören, nicht verwunderlich. (S. 459–472)

Als Fazit ist festzustellen, dass dieses Werk zum Marketing von Apotheken, welche über Angebote zur „Komplementär“ Kunden gewinnen bzw. an sich binden wollen, durchaus geeignet sein mag. Als Grundlage für eine gutachtliche Bewertung entsprechender Arzneimittel oder Behandlungskonzepte nach den Kriterien der wissenschaftlichen (evidenzbasierten) Medizin kann es nach Meinung des Rezensenten (der sich seit über 30 Jahren kritisch mit diesem Thema beschäftigt) dagegen keinesfalls herangezogen werden.

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden