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S3-Leitlinie “Neuroborreliose“ veröffentlicht

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat am 13. April 2018 nach mehr als dreijähriger Arbeit die erste S3-Leitlinie „Neuroborreliose“ veröffentlicht. Diese bezieht klar Stellung zu vermeintlichen Spätfolgen einer Borrelieninfektion, die Jahre nach dem Zeckenstich auftreten sollen. „Krankheitsbilder mit anhaltenden unspezifischen bzw. untypischen Symptomen sind häufig keine Borreliosen“, erklärte Sebastian Rauer vom Universitätsklinikum Freiburg, der die Leitlinienarbeit gemeinsam mit Stephan Kastenbauer aus München koordiniert hat, in einer Pressemitteilung der DGN. (Bitte beachten Sie hierzu auch den in Ausgabe 3/2018, 128–13, veröffentlichten Beitrag „Herausforderung chronische Borreliose – eine Übersicht für den Gutachter“ von R.-G. Kladetzky)

    Die S3-Leitlinie wurde unter Federführung der DGN in einem mehr als dreijährigen strukturierten Evidenzprozess nach den methodischen Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erstellt, wobei S3 in dieser Methodik für die höchste Qualitätsstufe der Entwicklung steht. Die Empfehlungen basieren auf einer systematischen Auswertung der wissenschaftlichen Literatur zur Neuroborreliose. Die Lyme-Borreliose (auch Lyme-Disease genannt) ist die am häufigsten durch Zecken übertragene Krankheit in Europa; in Deutschland erkranken jährlich zwischen 60.000 und mehr als 200.000 Menschen.

    Die Borrelien befallen vorwiegend die Haut. Typisches Erkennungszeichen ist das Erythema chronicum migrans; oft kommen Muskel- und Gelenkschmerzen und andere grippeähnliche Beschwerden hinzu. Im übrigen Körper können die Borrelien Gelenke, das Nervensystem und selten das Herz befallen. In 3 bis 15 Prozent der Fälle kommt es zu einer Neuroborreliose. In diesen Fällen typisch sind nächtlich betonte, brennende und stechende Schmerzen, die häufig gürtelförmig verteilt sind und schlecht auf Schmerzmittel ansprechen. Auch Lähmungen können vorkommen, vor allem der Gesichtsnerven, der Arme und Beine. Bei Kindern äußert sich die Neuroborreliose am häufigsten in einer Gesichtsnervenlähmung oder einer Meningitis.

    „Anhand der typischen Symptome in Verbindung mit entzündlichen Veränderungen im Liquor und dem positiven Antikörpernachweis lässt sich eine Neuroborreliose in der Regel zweifelsfrei feststellen“, erklärte Rauer. Von Blut- oder Liquortests auf Borreliose bei unspezifischen Beschwerden riet Rauer dagegen ausdrücklich ab: „Laboruntersuchungen sind nur bei ausreichendem klinischem Verdacht sinnvoll.“

    Zu den umstrittenen vermeintlichen chronischen Neuroborreliosen liefert die Leitlinie eindeutige wissenschaftliche Fakten. Nicht haltbar ist die Theorie, wonach Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, chronische Müdigkeit, wandernde Schmerzen, Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen und andere schwer greifbare Beschwerden trotz unauffälliger Liquordiagnostik auf eine nicht erkannte oder unzureichend behandelte Infektion des Nervensystems mit Borrelien zurückzuführen sind.

    „Die Neuroborreliose verläuft überwiegend gutartig“, betonte Rauer. „Schlechte Langzeitverläufe, von denen immer wieder berichtet wird, sind zum erheblichen Teil auf Fehldiagnosen zurückzuführen. Das Nichtansprechen auf die Therapie liegt in diesen Fällen also nicht daran, dass die Borrelien überleben. Der Grund ist vielmehr, dass die Patienten keine Neuroborreliose haben, sondern eine andere Erkrankung, die nicht auf Antibiotika anspricht.“

    Auch den Lymphozyten-Transformationstest (LTT), der bei diffusen Beschwerden wie chronischer Müdigkeit, muskuloskelettalen Schmerzen, Abgeschlagenheit oder Konzentrationsstörungen angeblich eine chronische Borreliose nachweisen soll, halten die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für nicht aussagekräftig. Eine Übersicht über Untersuchungsmethoden, welche für die Diagnostik der Neuroborreliose nicht geeignet sind, gibt die Tabelle.

    Die Antibiotika-Behandlung sollte mit Doxycyclin, Penizillin G, Ceftriaxon oder Cefotaxim erfolgen. „Diese Substanzen sind bei gleicher Verträglichkeit gleich gut wirksam gegen Borrelien“, so Rauer. „Über die Wirksamkeit von anderen Substanzen oder Antibiotika-Kombinationsbehandlungen liegen zu wenig auswertbare Studiendaten vor.“

    Die Leitlinie betont, dass eine medikamentöse Therapiedauer von 14 Tagen bei früher und von 14 bis 21 Tagen bei später Neuroborreliose im Regelfall ausreichend ist. „Eine längere Behandlung bringt keinen Mehrwert, sondern setzt die Patienten einem unnötigen Risiko von schweren Nebenwirkungen aus. Wenn die Antibiotika nach zwei bis drei Wochen nicht anschlagen, bringen auch weitere Wochen oder gar Monate nichts“, führte Rauer aus.

    An der Entwicklung der S3-Leitlinie „Neuroborreliose“ waren Vertreter aller Fachrichtungen beteiligt, die mit dem Krankheitsbild zu tun haben: 20 wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften, das Robert Koch-Institut, die Paul-Ehrlich-Gesellschaft, drei Patientenorganisationen sowie die Deutsche Borreliose-Gesellschaft e. V. (DBG), eine Vereinigung von Ärzten, die sich (nach eigenem Konzept) mit der Borreliose und angeblich assoziierten Infektionskrankheiten befassen. Es gab fünf Konsensuskonferenzen und eine außerordentliche Konferenz, bei denen die vorhandenen wissenschaftlichen Studien sowie die Erfahrungen der Experten ausführlich in der Leitliniengruppe diskutiert wurden. Die Leitlinie ist abrufbar unter https://www.dgn.org/leitlinien/3567-ll-030-071-2018-neuroborreliose.

    Nicht zu allen Punkten ist ein Konsens gefunden worden, berichtete Rauer, Neuroborreliose-Spezialist der DGN: „Im Hinblick auf die späte Neuroborreliose und vermeintliche latente Langzeitinfektionen besteht zwischen den wissenschaftlichen Fachgesellschaften einerseits und den Patientenorganisationen bzw. der DBG andererseits eine große Kontroverse.“

    Die Deutsche Borreliose-Gesellschaft e. V. und der Borreliose und FSME Bund Deutschland e. V. hatten es sogar zunächst geschafft, die Leitlinie mit einer einstweiligen Verfügung zu stoppen. Das Landgericht Berlin hat diese dann jedoch mit Urteil vom 12. März 2018 aufgehoben.

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden 

    Untersuchungsmethoden, die für die Diagnostik der Neuroborreliose nicht geeignet sind

    Für die folgend genannten Methoden liegen keine prospektiven kontrollierten Studien vor, die einen Nutzen für die Diagnostik der Neuroborreliose belegen würden. Somit sollen diese Methoden für die Diagnostik der Neuroborreliose nicht verwendet werden:

    Antigennachweis aus Körperflüssigkeiten

    PCR aus Serum und Urin

    Lymphozytentransformationstests (LTT)

    Enzyme-linked Immunospot Assay (ELISPOT)

    „Xenodiagnose“: Schildzeckenlarven lässt man Blut von vermeintlichen Borreliosepatienten saugen; anschließend werden die Larven auf Borrelien untersucht

    „Visual Contrast Sensitivity Test“ (VCS-Test oder Graustufen-Test): Durch die Messung des Erkennens von Grautönen soll indirekt ein lipophiles Neurotoxin von Borrelien nachgewiesen werden

    Nachweis sog. L-Formen oder Sphäroblasten

    Nachweis von Immunkomplexen als Marker von Krankheitsaktivität

    CD57-positive/CD3-negative Lymphozytensubpopulation

    kommerziell erhältliche serologische Schnelltests (mangelnde Sensitivität)