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“Darm-Ökogramme“ haben keinen Stellenwert bei gastrointestinalen Erkrankungen

Für die klinische Diagnostik gastrointestinaler Erkrankungen haben sogenannte „Darm-Ökogramme“ und daraus abgeleitete Therapieempfehlungen keinen Stellenwert, erklärte Viola Andresen von der Medizinischen Klinik am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg auf dem 26. Gastroenterologie-Update-Seminar am 2. und 3. März 2018 in Wiesbaden.

Der menschliche Körper ist an den meisten äußeren und inneren Oberflächen mit Mikroorganismen besiedelt; sie machen Schätzungen zufolge ca. 2 kg unseres Körpergewichts aus. Der weitaus größte Anteil (ca. 99 %) lebt im Gastrointestinaltrakt und wird als intestinales Mikrobiom bezeichnet. Schätzungen beziffern dabei die Anzahl des intestinalen Mikrobioms auf ca. 100 Billionen Bakterien. Auch ca. 90 % des Stuhlgewichtes sind auf die Mikrobiota zurückzuführen.

Bei Verdacht auf infektiöse Erkrankungen sind Stuhluntersuchungen zum Nachweis pathogener Keime, Pilze, Parasiten oder Toxine eine etablierte Diagnostik. Darüber hinaus werden aber auch seit vielen Jahren von einer wachsenden Zahl von Anbietern Stuhluntersuchungen, sogenannte „Darm-Ökogramme“, zur Analyse der residenten gastrointestinalen Mikrobiota und zur Detektion einer möglichen Dysbiose angeboten.

Der Stellenwert dieser meist recht teuren (und von den Patienten in der Regel selbst zu zahlenden) Untersuchungen ist jedoch aus einer Reihe von Gründen recht kritisch zu betrachten:

A) Inhaltliche Gründe:

Das Mikrobiom ist interindividuell sehr unterschiedlich und es gibt daher auch keinen allgemeingültigen Normalbefund.

Bislang eignet sich keine der vielen beschriebenen quantitativen Veränderungen als spezifischer Biomarker für eine Erkrankung.

Viele Arten des Mikrobioms sind bislang noch unbekannt und werden gar nicht erfasst.

Eine reduzierte Mikrobiom-Diversität kann offenbar mit vielen Krankheiten assoziiert sein, aber es bleibt ein unspezifischer Befund und bedeutet auch nicht automatisch einen krankhaften Zustand.

Die Ergebnisse dieser Stuhluntersuchungen lassen somit keinerlei klinische Interpretationen oder gar gezielte therapeutische Empfehlungen zu.

B) Methodische Gründe:

Die fäkale Mikrobiota repräsentiert nur einen Bereich des Mikrobioms; die mukosal assoziierte Mikrobiota wird durch Stuhluntersuchungen nicht erfasst.

Das Mikrobiom ist vielfältigen Einflüssen ausgesetzt und jede Untersuchung ist nur eine Momentaufnahme, die z. B. auch allein durch die Ernährung der letzten Tage verändert sein kann.

Manche Untersuchungsmethoden basieren noch auf kulturellen Anzüchtungen, bei der das entscheidende Spektrum der Anaerobier nicht erfasst werden kann.

Zunehmend bieten die Labore zwar auch alleinige oder ergänzende molekularbiologische Untersuchungen an, aber dabei werden in der Regel in den Befunden quantitative Werte von vordefinierten wichtigen Stämmen angegeben, die schwer zu interpretieren sind.

Die molekularbiologischen Untersuchungen basieren auf Abgleichungen mit Gendatenbanken. Es können nur Mikrobiom-Komponenten bestimmt werden, die bereits in den Datenbanken enthalten sind. Viele Arten sind dort jedoch noch gar nicht erfasst.

Die von vielen entsprechenden Labors für bestimmte Bakterienstämme angegebenen „Normalbereiche“ und entsprechende individuelle „pathologische Deviationen“ sind nicht wirklich evidenzbasiert, kritisierte Andresen.

Sehr kritisch zu sehen sind zudem auch Therapieempfehlungen auf Basis solcher „Darm-Ökogramme“: Bezüglich der Ernährung gilt ganz allgemein, dass eine vielfältige, ballaststoffreiche Ernährung ein vielfältiges Mikrobiom fördert. Für diese Erkenntnis benötigt man keine teure Stuhluntersuchung.

Gezielte probiotische Empfehlungen sind fragwürdig, da völlig unklar ist, ob ein bestimmter Bakterienstamm für den betreffenden Patienten tatsächlich „pathologisch vermindert“ bzw. „pathologisch vermehrt“ oder gar für irgendwelche Beschwerden verantwortlich ist und ob ein Probiotikum überhaupt in der Lage wäre, sich im bestehenden mikrobiellen Ökosystem anzusiedeln und diesen Zustand zu ändern.

Diese fundierte kritische Analyse ist für den medizinischen Gutachter in der privaten Krankenversicherung (und bei der Beihilfe) sehr hilfreich, da gerade von Privatpatienten zunehmend häufiger Rechnungen über solche Stuhluntersuchungen – und oft dann auch Rezepte über entsprechende Probiotika – als angeblich medizinisch notwendige Heilbehandlung zur Kostenerstattung eingereicht werden.

 Mikrobiota: Gesamtheit aller Mikroorganismen eines Lebensraums

 Mikrobiom: Gesamtheit aller Mikroorganismen eines Lebensraums mit deren zugehörigen Genen

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden