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OLG Bamberg, Beschluss vom 2.5.2016 – 4 W 38/16

Leitsatz:

Dass sich eine Partei nach Anhörung des Sachverständigen rügelos zur Sache einlässt, führt dann nicht zum Verlust des Ablehnungsrechts, wenn dieses auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten gestützt wird und den Parteien dazu eine Frist eingeräumt wurde.

Aus den Gründen:

I. Der Kläger fordert vom Beklagten Schadensersatz nach einer ärztlichen Behandlung. … Das Landgericht beauftragte den Sachverständigen Dr. med. A. mit der Erstattung eines Gutachtens. Nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens vom 30.11.2015 wurde der Sachverständige am 15.03.2016 angehört. Im Anschluss an die Anhörung verhandelten die Parteien zur Sache. Ihnen wurde nachgelassen, bis spätestens 05.04.2016 zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 24.03.2016, eingegangen am selben Tag, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. … Das LG hat mit Beschluss vom 05.04.2016 das Ablehnungsgesuch des Klägers als unzulässig zurückgewiesen. …

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO, auch gegen den das Gesuch als unzulässig zurückweisenden Beschluss (…). Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg. Zwar ist entgegen der Auffassung des LG das Ablehnungsgesuch nicht unzulässig. Es ist jedoch unbegründet.

1. Das Ablehnungsgesuch des Klägers ist zulässig. Es wurde insbesondere rechtzeitig erhoben, § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO.

a) Gemäß § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO ist ein Ablehnungsantrag spätestens binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen. Eine spätere Ablehnung ist gemäß § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO nur dann zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Nach einhelliger Auffassung ist in diesem Fall der Antrag entsprechend § 121 BGB unverzüglich nach Kenntnis von dem Ablehnungsgrund zu stellen (…). Der Ablehnungsantrag ist innerhalb einer den Umständen des Einzelfalles angepassten Überlegungsfrist anzubringen (…).

Nach mittlerweile gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist bei der Prüfung, ob ein fristgerechtes Gesuch vorliegt, auch der Rechtsgedanke des § 43 ZPO zu berücksichtigen. Hieraus wird abgeleitet, dass eine Partei ihr Recht zur Ablehnung des Sachverständigen verliert, wenn sie nach Abschluss der Anhörung des Sachverständigen Sachanträge stellt, ohne die ihr zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Ablehnungsgründe geltend zu machen (…). Diese Auffassung hat in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden (…), wobei zum Teil eine entsprechende Anwendung von § 43 ZPO nicht für erforderlich erachtet wird, um zu einem Verlust des Rügerechts zu gelangen (…).

b) Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung an, dass bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsgesuchs nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO eine entsprechende Anwendung des § 43 ZPO geboten ist.

Dies führt allerdings nicht dazu, dass Ablehnungsgesuche nach rügelosem Verhandeln zur Sache schematisch als unzulässig zurückgewiesen werden dürfen. Denn umfasst von einem Verlust des Ablehnungsrechts sind lediglich die der Partei bekannten Ablehnungsgründe. Solche können gegeben sein, wenn sie sich auf das Verhalten des Gutachters beziehen (etwa abfällige Äußerungen über Einwendungen der Partei oder über andere Gutachter, …) oder wenn Umstände über die Nähe des Sachverständigen zu einem Prozessbeteiligten bekannt werden. Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen ein Ablehnungsgrund erst nach sorgfältiger Prüfung der Ausführungen des Sachverständigen zu erkennen ist. Dies betrifft etwa Fälle, in denen ein Sachverständiger sich zu Fragen außerhalb seines Fachgebiets äußert. Hier kann von einer Partei nicht erwartet werden, unmittelbar nach der Anhörung eine Entscheidung über eine Ablehnung des Sachverständigen zu treffen.

Es ist daher für jeden einzelnen Ablehnungsgrund zu prüfen, ob die Partei ihr Ablehnungsrecht dadurch verloren hat, dass sie sich nach der Anhörung des Sachverständigen rügelos zur Sache eingelassen hat. Ein Verlust des Rechts wird nur dann nicht gegeben sein, wenn die Partei Gründe geltend macht, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten erfordern.

c) Im vorliegenden Fall hat der Kläger sein Ablehnungsgesuch auf den Inhalt der Ausführungen des Sachverständigen gestützt. Er rügt, einzelne Ausführungen verstießen gegen Denkgesetze und stünden im Widerspruch zum schriftlichen Gutachten. … Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob diese Rügen überhaupt grundsätzlich geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Gleichwohl erfordert ihr Erkennen eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der mündlichen Äußerungen, dem schriftlichen Gutachten und dem vorliegenden Prozessstoff, die nicht in wenigen Minuten im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bewerkstelligt werden kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Anspruch einer Partei auf einen unparteiischen Sachverständigen unmittelbarer Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist und die Durchsetzung dieses Anspruchs nicht durch verfahrensrechtliche Hürden unangemessen erschwert werden darf (…).

Nachdem im vorliegenden Fall eine Frist zur Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme bis 05.04.2016 gesetzt worden war und das Ablehnungsgesuch bereits am 24.03.2016, also noch innerhalb von zwei Wochen nach der Anhörung des Sachverständigen, einging, kann von einer schuldhaften Verzögerung durch den Kläger nicht ausgegangen werden.

2. Das Gesuch ist in der Sache jedoch unbegründet. … Soweit der Kläger rügt, einzelne Ausführungen verstießen gegen Denkgesetze und stünden im Widerspruch zum schriftlichen Gutachten, geht es um die behauptete Mangelhaftigkeit des Gutachtens. Inhaltliche Mängel des Gutachtens oder mangelnde Sorgfalt begründen die Besorgnis der Befangenheit jedoch nicht, weil beides nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft (…).

Redaktionell überarbeitete Fassung, eingereicht von P. Becker, Kassel