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Aufklärung über das Risiko eines dauerhaften Haarausfalls bei neuartigem Krebsmedikament erforderlich

Wenn die Patienteninformation des Herstellers für ein neu eingeführtes Krebsmedikament auf das mögliche, nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegende Risiko eines dauerhaften Haarverlustes hinweist, muss der behandelnde Arzt den Patienten darüber aufklären, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln mit Urteil vom 21.3.2016 (AZ: 5 U 76/14). Das gilt auch dann, wenn aussagekräftige Studien und Langzeitbeobachtungen dazu bislang nicht vorliegen.

Grundlage ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH): Demnach muss der Patient „im Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwilligt. Dazu muss er über die Art des Eingriffs und dessen nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegende Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Dem Patienten muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihn verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern.

Die Notwendigkeit zur Aufklärung hängt bei einem spezifisch mit der Therapie verbundenen Risiko nicht davon ab, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führt. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die das Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung ist deshalb die Information über ein Risiko für die Einwilligung eines Patienten auch dann von Bedeutung, wenn sich das Risiko sehr selten verwirklicht (vgl. BGH vom 6.7.2010, AZ: VI ZR 198/09).

Dabei ist es nicht erforderlich, dass die wissenschaftliche Diskussion über bestimmte Risiken einer Behandlung bereits abgeschlossen ist und zu allgemein akzeptierten Ergebnissen geführt hat, erklären die Kölner Richter weiter. Es genügt vielmehr, dass ernsthafte Stimmen in der medizinischen Wissenschaft auf bestimmte mit einer Behandlung verbundene Gefahren hinweisen, die nicht lediglich als unbeachtliche Außenseitermeinungen abgetan werden können, sondern als gewichtige Warnungen angesehen werden müssen (vgl. BGH vom 21.11.1995, AZ: VI ZR 329/94).

Nach diesen Maßstäben ist aber das Risiko eines dauerhaften Haarverlustes auch dann aufklärungspflichtig, wenn es sich nur selten verwirklicht. Die Komplikation wird – sofern sie eintritt – einen Patienten meist schwer belasten und daher für seine Entscheidung für oder gegen eine Behandlung Bedeutung haben.

Wenn daher eine Krebspatientin (wie im hier zu entscheidenden Fall der neuartigen Chemotherapie eines Mammakarzinoms) vor Gericht eine konkrete Angst vor einem dauerhaften Haarverlust darlegen kann und sie diese Frage sogar in Vorgesprächen mit den Ärzten thematisiert hat, dann steht der Plausibilität ihres dargelegten Entscheidungskonflikts die (von ihr eher als abstrakt empfundene) Verbesserung ihrer Überlebenschancen durch das neue Medikament nicht entgegen, so die Kölner Richter.

Ein weitgehend irreversibler, fast vollständiger Verlust der Kopf- und Körperbehaarung als Folge einer solchen rechtswidrigen (!) Chemotherapie bei einer 45 Jahre alten Frau rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro, entschied das OLG.

(Versicherungsrecht 68 (2017) 6: 354–356)

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden 

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