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Forensische Altersdiagnostik

Die Kenntnis des zutreffenden Lebensalters einer Person ist in verschiedenen Rechtsgebieten wichtig für die Gewährung verfahrensrechtlicher Fragen oder auch von Sozialleistungen. So ist im Strafrecht die Frage der Strafmündigkeit und die Anwendbarkeit von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht von Wichtigkeit, im Familienrecht die Frage der Vormundschaft, im Ausländerrecht die Handlungs- und Verfahrensfähigkeit sowie im Sozialrecht die Frage der Inobhutname von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen durch Jugendämter und Gewährung von Erziehungshilfe. Eine größer werdende Anzahl nicht begleiteter jugendlicher Flüchtlinge im letzten Jahr hat in Berlin etwa die Anzahl der Gutachten zur Feststellung des wirklichen Lebensalters mehr als verdoppelt. Auf die hierbei zu beachtenden Einzelheiten weisen Schmeling et al. in einem Übersichtsbeitrag für das „Deutsche Ärzteblatt“ hin.

Grundlage dieser Begutachtung zur Bestimmung des Lebensalters (wobei diese Gutachten wirklich nur von in der Fragestellung erfahrenen Ärzten durchgeführt werden sollten) stellt eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung dar. Die hierzu vorgenommenen Untersuchungen sollen vorrangig ausschließen, dass Erkrankungen mit Auswirkungen auf Wachstum und Entwicklung vorliegen und Einfluss auf die Ergebnisse nehmen können. Entwicklungsverzögerungen blieben zwar ohne nachteilige Auswirkungen auf die Betroffenen, die Entwicklung beschleunigende Erkrankungen, wie etwa die Pubertas praecox, das adrenogenitale Syndrom und auch die Hyperthyreose, müssen zur Vermeidung von Fehlurteilen ausgeschlossen werden.

Die Röntgenuntersuchung der Hand stellt danach ein zweites wichtiges Beurteilungskriterium der forensischen Altersdiagnostik dar. Röntgenuntersuchungen ohne medizinische Indikation, um die es sich hierbei handelt, bedürfen bekanntlich einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage. Im aufenthaltsrechtlichen Verfahren wird dies von den Autoren gesehen in § 39 Aufenthaltsgesetz, in Zusammenhang mit der Gewährung von Sozialleistungen in § 62 SGB 1, rechtsgebietsunabhängig auch durch die Einwilligung des zu Untersuchenden. Beurteilt werden auf der Röntgenaufnahme der Hand Form und Größe der einzelnen Knochenelemente sowie der Ossifikationszustand der Epiphysenfugen. Ein nicht ausgereiftes Handskelett lässt mit hoher Wahrscheinlichkeit Minderjährigkeit vermuten. Durchgeführt wird im Rahmen der Begutachtung weiter eine zahnärztliche Untersuchung, wobei die hier untersuchten Merkmale der Durchbruch und die Mineralisation der dritten Molaren sind. Der Durchbruch der Molaren ist allein durch Inspektion der Mundhöhle zu bestimmen, die Beurteilung der Mineralisation erfordert die Durchführung eines Orthopantomogramms. Bei abgeschlossener Entwicklung des Handskeletts kann zusätzlich noch der Ossifikationsgrad der medialen Epiphysenfugen der Clavicula mit dem Dünnschicht-CT bestimmt werden, deren Epiphysenfuge sich als letzte im gesamten Skelett schließt. Hinsichtlich der Strahlenbelastung weisen die Autoren darauf hin, dass die Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenbelastung in Deutschland höher einzustufen ist als die hier zusätzliche Exposition bei den Untersuchungen.

Wenn in einer der untersuchten Entwicklungssysteme Zeichen der Unreife festgestellt werden können, kann das wahrscheinlichste Alter der untersuchten Person aufgrund der kritischen Würdigung der Einzelergebnisse der Untersuchungen angegeben werden. Variationen und Streubreiten altersrelevanter Parameter sind hierbei anzugeben. Wenn eine Aussage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getroffen werden soll, muss ein Mindestalterkonzept angewandt werden. Dieses Mindestalter lässt sich aus einem Altersminimum einer Referenzstudie für die festgestellte Merkmalsausprägung ablesen.

(Schmeling A, Dettmeyer R, Rudolf E, Vieth V, Geserick G: Forensische Altersdiagnostik. Deutsches Ärzteblatt (2016), 113, 4: 44)

E. Losch, Frankfurt/Main