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Unterschätzt: Sexuelle Belästigungen unter Schülern

Sexuelle Belästigung gibt es nicht nur am Arbeitsplatz. Auch auf dem Schulhof und im Klassenzimmer kommt es immer wieder zu Übergriffen unter Kindern und Jugendlichen. Zu den Folgen gehören neben Lernstörungen auch psychosomatische Beschwerden. Kinder- und Jugendpsychiater Marc Allroggen sensibilisiert jetzt in der Fachzeitschrift „DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift“ für das Thema.

Zu sexuell belästigendem Verhalten zählen Allroggen und seine Kollegen von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Ulm nicht nur körperliche Übergriffe. Auch sexualisierte Bemerkungen oder Beleidigungen, das Zeigen von pornografischem Material oder die Veröffentlichung intimer Fotos im Internet sowie sexualisierte Nachrichten, sogenanntes Sexting, können Kindern und Jugendlichen gesundheitliche Schäden zufügen.

Wie häufig sexuelle Belästigungen sind, sei nicht genau bekannt. Die Häufigkeit schwankt in internationalen Studien zwischen 10 und 80 Prozent, berichtet Allroggen nach einer Recherche in internationalen wissenschaftlichen Datenbanken. In einer vom Deutschen Jugendinstitut e.V. durchgeführten Erhebung berichteten etwa ein Sechstel aller Schulleiter und Lehrer über einen oder mehrere Verdachtsfälle aus den letzen drei Jahren. In einer anderen Befragung unter Neuntklässlern berichteten nahezu zwölf Prozent der Schülerinnen und fast zwei Prozent der Schüler, in den letzten zwölf Monaten schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Eine sexuelle Gewalterfahrung gaben knapp zwei Prozent der Mädchen an. Bei den Jungen war es nur knapp ein halbes Prozent.

Die Motive sind nach Einschätzung des Experten unterschiedlich. Es könnte sich sowohl um Kontaktwünsche der Jugendlichen handeln als auch Ausdruck eines aggressiven Verhaltens sein oder eine Reaktion auf selbst erfahrene sexuelle Übergriffe. Welchen Einfluss die neuen Medien in diesem Zusammenhang haben, ist laut Allroggen erst wenig untersucht. Eine erste Untersuchung zeige jedoch, dass Pornos im Internet Kinder und Jugendliche vor allem dann zu sexueller Gewalt veranlassen können, wenn dort Gewalt dargestellt werde.

Die Opfer reagieren häufig mit einem Rückzug aus der Klassengemeinschaft. Auch Lernstörungen und Schulschwänzen können Folgen sexueller Belästigungen sein. Häufig kommt es nach Erfahrung von Allroggen auch zu psychosomatischen Beschwerden wie Bauchschmerzen und Schlafstörungen oder zu depressiven Symptomen. Viele Kinder suchen dann einen Kinder- oder Hausarzt auf. Der Experte sieht hier eine Chance für die Mediziner, die Ursachen zu erfragen. Ihren Eltern, Lehrern oder Mitschülern gegenüber würden sich die Kinder selten offenbaren, zu Haus- und Kinderärzten hätten sie eher Vertrauen. „Ärzte sollten bei der Schilderung von unspezifischen Beschwerden wie Konzentrationsstörungen, Schlafproblemen oder Bauchschmerzen, immer auch an sexuell belästigendes Verhalten durch Gleichaltrige als Ursache denken“, fordert Allroggen. Die Jugendlichen würden nicht nur aus Scham die Übergriffe verschweigen. Viele seien sich gar nicht bewusst, dass die sexuellen Gewalterfahrungen Ursache ihrer Beschwerden sind. Eine Aufklärung sei wichtig, da Opfer sexueller Belästigung später häufiger Opfer von partnerschaftlicher Gewalt werden. Zudem sehen Psychiater auch eine Verbindung zu emotionalen Störungen, selbstverletzendem Verhalten oder Drogenmissbrauch.

Den betroffenen Kindern und Jugendlichen rät Allroggen, die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen: Eine sexuelle Belästigung liege immer dann vor, wenn sie als solche empfunden wird. Den Mitschülern gegenüber sollte man klare Grenzen setzen. Die Jungendlichen müssen frühzeitig signalisieren, dass ein Verhalten nicht gewünscht wird. Bei anhaltenden Belästigungen sollten sie sich nicht scheuen, Hilfe bei Freunden, Lehrern und Mitschülern zu suchen, sowie Eltern und Vertrauenspersonen zu informieren. Auch Fachberatungsstellen würden Hilfe anbieten.

(M. Allroggen et al.: Sexuell belästigendes Verhalten unter Schülern – Häufigkeit, Entstehungsbedingungen und Handlungsoptionen; DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2014; 139 (3); S. 89–93) Thieme Presseservice